Abschied von Br. Rolf Appel
Von Br. Kurt Römer
Eine freimaurerische Legende hat uns verlassen. Unser Bruder Rolf Appel. Am 3. April verstarb er in Hamburg im Alter von 98 Jahren.
Mit ihm verlieren wir einen Bruder, der seit dem Tage seiner Aufnahme am 22. Februar 1948 bis zu seinem Tode sein Handeln und Wirken und somit sein Leben uneigennützig in den Dienst unseres Bundes gestellt hat. Er hat die Freimaurerei gelebt und der Bruderschaft viele erhellende Impulse in vielerlei Hinsicht geschenkt. Generationen von Brüdern verdanken ihm wertvolle Anstöße zum Verstehen der Königlichen Kunst.
Bruder Rolf wurde 16. Juni 1920 in Süderbrarup/Schleswig-Holstein geboren. Sein Vater betrieb dort eine Druckerei. In seinem Auftreten hat er das Wesen eines echten Schleswig-Holsteiners nie verleugnet. Ihm waren Freiheit und Gerechtigkeit immer Antriebe seines Handelns. So spiegeln sich auch bedeutende Gestalten seiner Heimat in seinen Taten wider. Ich denke besonders an den Dichter Theodor Storm, der häufig rebellierte gegen überholte staatliche Ordnungsstrukturen, denen Werte der Humanität abhandengekommen sind. Auch für Rolf war jede Form von Ordnung nur dann sinnvoll, wenn sie gleichzeitig verbunden war mit den Werten, die dem Fortbestand einer friedlichen Gesellschaft dienten.
Seine Generation erlebte verschiedene Zeitwechsel. Er wurde hineingeboren in die aufregende Zeit der Weimarer Republik und konfrontiert mit der beginnenden nationalen Hybris und der damit einhergehenden Verrohung.
Sein Vater, selbst Freimaurer, wurde ihm ein Vorbild für das mutige Eintreten für Werte, die einem humanitären Geist entstammten. Als die Nazis seinen Vater aufforderten, der NSDAP beizutreten, erwiderte jener unerschrocken: „Ich kann bei Ihnen kein Mitglied werden, denn ich bin Freimaurer.“ So wurde unser Bruder Rolf schon früh mit dem Unterschied vertraut zwischen einem von humanitären Werten bestimmten Leben und dem verantwortungslosen Einfügen in ein menschenverachtendes System.
Auch Rolf wurde nicht vom Kriegsdienst verschont. Als Panzerfahrer musste er seinen Wehrdienst leisten. Über seine Erlebnisse schrieb er später ein Buch. Auch hier stellte er nicht kriegerische Erlebnisse in den Vordergrund, sondern es waren die Begegnungen mit Menschen, die für ihn so nicht zum Feindbild wurden.
Schon mit 18 Jahren lernte er seine spätere Frau Gerda kennen, die er am 7. August 1941 unter Anwendung einer damals sogenannten „Ferntrauung“ ehelichen konnte. Es wurde eine glückliche Ehe. Gerda unterstützte uneigennützig Bruder Rolfs Bindungen an die Freimaurerei. Er gestand später: „Ohne meine Frau hätte ich das alles nicht geschafft.“ Für unseren Bruder Rolf war es daher ein wesentlicher Einschnitt in sein Leben, als Gerda am 10. Januar 2004 verstarb.
Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: Ronald, Christian und Dagmar. Ronald wurde zur Freude seines Vaters auch Freimaurer. Es hat Bruder Rolf tief getroffen, dass Ronald vor ihm, am 13. März 2003, verstarb.
Bruder Rolf war überzeugter Christ und Mitglied der Herrnhuter Brüdergemeinde. Die Lehre dieser christlichen Gemeinschaft entsprach weitgehend seinen Vorstellungen von Toleranz und Dogmenfreiheit. Die wohlwollenden Bemerkungen des Freimaurers Lessing haben ihn offenbar in dieser Haltung bestärkt.
Gründer der Herrnhuter Brüdergemeinde war Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. Dessen Gedicht „Wir wollen uns gerne wagen“ fand Eingang in unser A.F.u.A.M.-Ritual zur Verpflichtung der Beamten. Auch dieses Ritual trägt die Handschrift unseres Bruders Rolf. Es war Br. Theodor Vogel, erster Großmeister, der Rolfs Interesse für Lessing geweckt hatte. Bruder Rolf hat immer wieder betont, dass Lessing auch heute noch unentbehrlich für die deutsche Freimaurerei sei. Daher ist auch zu verstehen, dass Bruder Rolf im Jahre 1997 die Lessing-Gesellschaft gründete. Mit dieser Gesellschaft waren unzählige Initiativen verbunden. Nicht nur Reisen zu den Wirkungsstätten Lessings, sondern auch Theateraufführungen standen im Mittelpunkt. Ein Höhepunkt war die Aufführung von Lessings „Ernst und Falk“, der berühmten Gespräche für Freimaurer, in der Inszenierung des Bruders Hans-Peter Kurr. Für Bruder Rolf war nicht nur Lessings Eintreten für Toleranz und die Suche nach der Wahrheit wichtig, sondern die Erkenntnis, dass uns Lessing nachdenken lässt und nicht mit vermeintlich endgültigen Wahrheiten überschüttet. Es sind diese Sätze, die das brüderliche Miteinander stärken können: „Freimaurerei war immer …“ und sie sei ein „laut denken mit einem Freund“.
Hier fand Bruder Rolf auch die Begründungen für seine nie endende Freude an der Königlichen Kunst. Er hat immer versucht, seine Sicht auf die Freimaurerei mit der Lebenswirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen. Nur so kann man verstehen, dass er in vielen Logen durch seine Besuche Begeisterung auslöste. Häufig waren es auch die Logen, die Bruder Rolf bei entstandenen Schwierigkeiten um Hilfe baten. Exemplarisch und beispielhaft verweise ich gern auf Bruder Rolfs Hilfe bei der Loge „Frithjof zum Nesselblatt“ in Kiel, in der er von 1981 bis 1985 den ersten Hammer führte. Bruder Klaus Richter hat mir dankenswerterweise seine Sicht darauf geschildert: „Als 1981 das freimaurerische Licht in der Kieler Loge ‚Fritjof zum Nesselblatt‘ bedenklich flackerte, ließ sich der zeitlebens von der freimaurerischen Idee überzeugte Br. Rolf Appel hier in die Pflicht nehmen und tat dies mit besonderem Eifer und der ihm eigenen eisernen Disziplin. Dabei ging er allerdings nicht selten an seine Grenzen. Neben einer wirksamen Öffentlichkeitsarbeit kümmerte man sich gemeinsam um praktische Hilfe für arbeitslose Jugendliche. Beteiligte Behörden stellten ein verwahrlostes Gebäude zu Verfügung, das neun von der Verwaltung ausgewählte Jugendliche für eine von ihnen betriebene landwirtschaftliche Nutzung herrichteten. Auch bauten sie unter Anleitung der Brüder eine Holzhütte für Zusammenkünfte und als Schutz. So bekamen die jungen Leute die Gelegenheit, Ordnung in ihr Leben zu bringen und eine Ausbildung zu beginnen. Alle neun bekamen schließlich einen Ausbildungsplatz.“
Diesen Einsatz dankten ihm die Kieler Brüder 1993 mit der Ehrenmitgliedschaft in ihrer Loge.
Ein weiterer Höhepunkt seines Schaffens war die Wiedergründung der Freimaurerei in Litauen. Er bezeichnete diesen Teil seiner maurerischen Arbeit als „bleibend“. In dem baltischen Land wurde das freimaurerische Licht 1993 wieder entzündet. Es war eine Herausforderung für seine Loge „Die Brückenbauer“, die fast alle vorhandenen Kräfte überforderte. Doch das Vorhaben gelang. Heute existiert in Litauen in vielen Städten ein reges freimaurerisches Leben. Die Verbindung zu den „Brückenbauern“ ist weiterhin als sehr eng zu bezeichnen. Für seinen Einsatz wurde Br. Rolf mit der Würde eines Ehrengroßmeisters bedacht.
Bis in seine letzten Tage hat sich Bruder Rolf immer wieder mit dem Ergebnis des Dialogs mit der katholischen Kirche beschäftigt. Als Christ suchte er das Gemeinsame, nicht das Trennende. Für ihn war natürlich die von ihm mitverfasste „Lichtenauer Erklärung“ der Höhepunkt. Sie war möglicherweise mit ausschlaggebend, dass der Begriff „Freimaurer“ aus dem Codex Juris Canonici, dem jahrhundertealten römischen Kirchenrecht, entfernt wurde.
Noch im Dezember 2018 stand Bruder Rolf für ein Gespräch mit einem Vertreter des Vatikans zur Verfügung, in der es um die Ergebnisse des damaligen Dialogs ging, deren letzter noch lebende Teilnehmer Bruder Rolf war.
Alle Verdienste unseres Bruders Rolf hier vollständigen aufzuzeigen, würde den Rahmen dieses Nachrufes sprengen. Doch erscheint es mir wichtig, kurz noch einige Punkte zu erwähnen:
Er war Ehrenmitglied in 14 Logen; von 1958 bis 2002 mit Unterbrechungen Redakteur des „Hanseatischen Logenblattes“; ab 1967 Redakteur der freimaurerischen Zeitschrift „Euro-Mason“; 1965 Redakteur der „Gelben Blätter“; ab 1973 Redakteur der Zeitschrift „Die Bruderschaft“, 1988 bis 1993 Redakteur der Zeitschrift „Humanität“. 1964 wurde Bruder Rolf Zug. Großmeister der Großloge A.F.u.A.M.v.D. Er erhielt 1976 das Ehrenzeichen in Gold unserer Großloge und 1988 die Paulskirchenmedaille der VGLvD. Zudem war er Initiator des freimaurerischen Kulturpreises unserer Großloge.
Unvergessen sind seine Laudationes auf die Preisträger Max Tau (1966), Lew Kopelew (1983), Reiner Kunze (1993), Arno Surminski (2000).
Seit dem vergangenen Jahr konnte unser Bruder nicht mehr alleine leben und zog in das „Elisabeth Alten und Pflegeheim der Freimaurer“ in Hamburg. Ich habe ihn dort häufig besucht, gebe jedoch den Bericht der Freimaurer-Schwester Angelica Obracai, die ihn seit Jahren betreut hat, wieder:
„Br. Rolf Appel war mir ein guter, wertvoller Freund. Über Freimaurerei habe ich viel erfahren. Ebenso über sein reiches, nicht immer glückliches Leben. Vor einem Jahr fand ich Rolf Appel in seiner Wohnung am Mundsburger Damm zum zweiten Male auf dem Boden liegend. Er kam in die Schön-Klinik, von dort ins Elisabeth. Nach kurzer Zeit hatte er sich soweit erholt, dass er an Veranstaltungen des Hauses teilnehmen konnte. Besonders Konzerte und Mitsingnachmittage hat er genossen. Eine Lichterfahrt durch Hamburg im November hat ihn sehr begeistert. Ein-, zweimal pro Woche habe ich ihn besucht. Immer wieder hat er von seinem reichen Leben gesprochen. Immer wieder fiel das Wort ‚Dankbarkeit‘. Trotz der schrecklichen Kriegserlebnisse, der Entbehrungen, des frühen Todes seines Sohnes, des Abschieds von seiner Frau, von vielen Freunden. ‚Wer auf die Welt kommt, muss wieder gehen.‘ Diesen Satz ließ er bei fast allen meinen Besuchen fallen. Vor zwei Wochen hatte er wohl beschlossen zu gehen. Er konnte, wollte nichts mehr essen. Es war absehbar, dass er seinen nächsten Geburtstag nicht mehr erleben würde. Wir haben uns verabschiedet. Seine Tochter war am Dienstag, dem 2. April lange bei ihm. Er war nicht mehr ansprechbar. Sie hat trotzdem einen sehr lieben Brief eines Bruders aus Litauen vorgelesen.
Am Mittwoch gegen 10 Uhr hat mich ein unruhiges Gefühl zu Rolf Appel geführt. Ich habe den Leiter der Abteilung getroffen, der mir die traurige Nachricht von seinem Tod überbracht hat.“
Am 28. März hatte der Bruder Klaus Richter noch ein Telefongespräch mit Bruder Rolf. Dort hörte er den Satz von ihm „Ich habe genug getan.“
Seine Tochter hat diese Eindrücke bestätigt. Für unseren Bruder hatte sich das Leben vollendet. Er ging ohne Furcht seinen letzten Weg. Er ging diesen Weg gefasst und neugierig auf das Ende. Er starb als Christ, doch ohne dogmatisch zu glauben, denn seine innere Freiheit war ihm sein höchstes Gut.
Zum Schluss gebe ich Bruder Rolf das Wort mit einem seiner Gedichte:
Ewiges Leben
Ich komme aus Urweltzeiten
Sah Gott und hörte die Weltenuhr schlagen
Nun gehe ich meinen Gang über die Erde
Und werde, wenn die Zeit kommt,
Sie wieder verlassen
Um einzugehen in
Eine andere Form
Anders sind die Zeiten
Dauer in ihrem Wechsel
Unbewusst weiß ich
Welch ein Himmel
Sich über die Erde wölbt
Alles ist voller Hoffnung
Voller Zuversicht.
Wir Überlebenden können nur in Dankbarkeit seiner gedenken, denn er war ein vorbildlicher Bruder.
Der Beitrag entstammt der Zeitschrift “HUMANITÄT — Das Deutsche Freimaurermagazin”, Ausgabe 3-2019.