Erstmals in der Geschichte der Menschheit steht diese vor gewaltigen Umwälzungen, die tief in die Natur des Menschen und des Planeten einschneiden. In der Freimaurerei gibt es Überlegungen, wie mit den veränderten Bedingungen umgegangen werden soll.
Von Helmut Reinalter
Die Tragweite der sozioökonomischen, technologischen, ökologischen und geomorphologischen Veränderungen könnte heute nicht größer sein. Unser Leben wird sich in allen Bereichen der Gesellschaft grundlegend verändern. Es bilden sich postindustrielle Gesellschaften als Folge der Umwälzungen im Zeichen des demographischen Wandels, der neuen Technologien und der medizinischen Errungenschaften heraus, und es entstehen auch neue Gesellschaftsmodelle, mit denen sich die Freimaurerei in Zukunft kritisch auseinandersetzen muss. Moderne Sozialsysteme wandeln sich zunehmend in Risikogesellschaften, die neue ethische Maßstäbe erfordern, wie z. B. globale Ethiken. Die Globalisierung verändert die Demokratie, zumal in einer Zeit tiefgreifender Wandlungsprozesse und komplexer werdender gesellschaftlicher Entwicklungen sowie durch den Neoliberalismus Demokratien an die Grenzen ihrer Effektivität stoßen. Sie zeigen sich technisch als leicht verletzbare Systeme. Weltpolitik und Weltwirtschaft benötigen dringend eine ethische Grundorientierung, um eine im Sinne der Freimaurerei friedlichere und humanere Welt zu ermöglichen.
Zweifelsohne ergeben sich aus diesen Wandlungsprozessen und ihren Folgen wichtige neue Aufgabenfelder, für die ein dringender globaler Handlungsbedarf besteht:
- Die Errichtung einer globalen Rechts- und Friedensordnung zur Überwindung der globalen Gewaltgemeinschaft,
- die Herstellung eines fairen (gerechteren) Handlungsrahmens für die globale Kooperationsgemeinschaft, der die Sicherung der sozialen und ökonomischen Mindestkriterien umfasst, und
- die Klärung bzw. Konkretisierung jener Probleme, die durch Hunger, Armut und Migration entstanden sind.
Auf den Punkt gebracht, bedeutet dies globale Gerechtigkeit, globale Solidarität und globale Humanität.
Diese großen Herausforderungen führen notwendigerweise zu künftigen Aufgaben der Bruderkette, die möglichst bald in Angriff genommen werden müssen, um die Freimaurerei auch als geistige Bewegung bedeutender zu gestalten. Eine ausschließlich ästhetisch-esoterische Verinnerlichung und der Rückzug auf Ritualistik und Symbolik sind zwar für die Bruderkette wichtig, schwächen sie aber gesellschaftspolitisch. Um dies zu verhindern, ist es dringend erforderlich, auf der Grundlage einer fundierten Analyse der geistigen und gesellschaftlichen Entwicklung unserer Gesellschaft das Engagement der Brüder zu unterstützen und einen Denkprozess einzuleiten, um zu erreichen, dass die Brüder jenseits von Parteipolitik eine Kurskorrektur der gesellschaftlichen Entwicklung beeinflussen können. Die Freimaurerei sollte sich als ethische Wertegemeinschaft und als humanes Verhaltensmuster dieser Verantwortung stellen. Es geht hier vor allem um eine Verantwortung für die Gesellschaft von morgen, gemäß den Ritualworten: „… wie hier im Tempel durch das Wort, im Leben durch die Tat walten zu lassen.“
Für die Freimaurerei heißt dies, sich um ihre tragenden, substanziellen Kategorien neu zu kümmern, nämlich um
- die Selbstverpflichtung, an der sich der Br.: zu messen hat,
- die Entfaltung einer geistigen Haltung, eines Habitus, dessen Ausprägung sich im Diskurs (Diskursethik) gestaltet,
- die Entwicklung einer Philosophie als Lebenskunst (Königliche Kunst) eine neue ethische Orientierung am dynamischen Wandlungsprozess der Gesellschaft unter globalem Maßstab (Weltethos),
- eine aktive Toleranz und nicht eine passive Duldung,
- eine „reflexive“ Aufklärung als neues Aufklärungsdenken,
- die Freimaurerei als Idee und gemeinschaftliche Praxis lebendig zu halten,
- eine verstärkte Verpflichtung zu praktischer Humanität und gesellschaftspolitischem Engagement,
- eine lebendige Gestaltung der Brüderlichkeit mit interessanten Baustücken und
- eine aufklärerische, ideologiekritische Haltung sowie das Eintreten für eine „offene Gesellschaft“.
Die Themenschwerpunkte wurden von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen intensiv diskutiert. Hier nun die Ergebnisse dieses Diskurses. Ein Umfrageergebnis über den Werterahmen in Österreich ergab ein interessantes Ergebnis: 81% der befragten Menschen antworteten, dass Werte im Alltag sehr wichtig sind und nur 19% waren der Meinung, dass Werte wenig Bedeutung haben. Konkret wurde über die Weiterentwicklung und Vertiefung des freimaurerischen Werterahmens gesprochen:
- Eine verstärkte Verpflichtung zum Aufklärungsdenken, zumal die Werte der historischen Aufklärung heute nach wie vor sehr aktuell sind, sie müssen nur für die Zukunft weiterentwickelt werden.
- Eine Verpflichtung zur praktischen Humanität, zu Solidarität und Empathie.
- Eine aktive Toleranz, Respekt für die Andersdenkenden und die Ablehnung des Fundamentalismus.
- Das Eintreten für Menschenwürde und Menschenrechte in Wort und Tat.
- Eine Neuinterpretation der Königlichen Kunst als Philosophie der Lebenskunst.
- Annäherung an eine besondere Gesprächsform, die durch den Dialog mit anderen dem Leben einen Sinn geben kann.
- Die Entwicklung des brüderlichen Gesprächs zu einer Diskursethik, eine Das Symbol des „großen Baumeisters“ und das Verhältnis zur Religion sind neu zu überdenken.
In der Diskussion wurde besonders darauf hingewiesen, die „Alten Pflichten“ für die Zukunft verständlicher zu formulieren.
Neben dem Werterahmen der Freimaurerei, der in der Diskussion einen breiten Raum einnahm, wurden weitere, für die Freimaurerei aktuelle Themen zur Diskussion gestellt, insbesondere gesellschaftspolitische Probleme und das Verhältnis der Bruderkette zur Gesellschaft und zur Öffentlichkeit. Im Detail ging es hier um die Möglichkeit einer intelligenten Öffentlichkeitsarbeit, um eine verstärkte Diskussion über brisante gesellschaftliche Wandlungsprozesse, wobei vor allem die Bekämpfung der Verrohung der politischen Kultur, die Demokratiemüdigkeit, repressive Tendenzen in der Politik und Gesellschaft, die Menschenrechte und als Ergänzung dazu die Menschenpflichten, die Flüchtlingskrise, die Klimakatastrophe und ihre Folgen, der Populismus, der Terrorismus, der Islamismus, die ethischen Folgen der Künstlichen Intelligenz und der Digitalisierung, der Transhumanismus, der Neoliberalismus, ein neuer Bildungsbegriff und der Überwachungskapitalismus im Zentrum der Debatte standen. Die Freimaurerei wurde als gesellschaftlicher Katalysator charakterisiert, worunter der indirekte oder direkte Einfluss der Bruderkette auf die Gesellschaft gemeint ist. Die Freimaurerei als mögliches Konfliktlösungsmodell kam auch zur Sprache. Weitere Themenbereiche befassten sich auch mit Männerbünden und der Frauenfrage, in der eine liberalere Haltung gefordert wurde, und mit Strategien gegen den Antimasonismus und die vielen absurden Verschwörungstheorien. Kontrovers diskutiert wurden die masonischen Zentralbegriffe Regularität und Irregularität, wobei besonders über Neudefinitionen und Grenzziehungen gesprochen wurde. Besonders kritisch überprüft werden sollten Kriterien der Ausgrenzung. Gefordert wurde in diesem Zusammenhang eine stärkere kooperative Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Richtungen der Freimaurerei. Auch die Bedeutung der Arkandisziplin und des angeblichen freimaurerischen Geheimnisses wurden aus heutiger Sicht betrachtet. Eine Entmythologisierung wäre hier zweifelsohne angebracht.
Im Prozess der Suche nach der freimaurerischen Zukunft hat dieses fundierte Gespräch einen wichtigen Beitrag geleistet. Darin waren sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen einig. Um die erarbeiteten Vorschläge auch Schritt für Schritt umzusetzen, braucht es fundiertes Wissen, Mut, Gestaltungsfreude und produktive Zusammenarbeit. Der geistige Wettbewerb um die Gestaltung des 21. Jahrhunderts ist bereits angelaufen. Die Freimaurerei sollte als geistiger Impulsgeber in der Debatte über die Situation der Zeit nicht passiv zuschauen, sondern sich aktiv mit Fragen nach Werten, Tradition und Identität in den Logen bemühen.
Der Beitrag entstammt der Zeitschrift “HUMANITÄT — Das Deutsche Freimaurermagazin”, Ausgabe 1-2019.
Nun, ich persönlich fand diesen Beitrag weniger aufdringlich, als so viele andere, die über dieses Medium verbreitet werden.
Aber ja, der Grundtenor ist eben derselbe: Alles ändert sich, global, Dynamik, Wandel, Transformation… die übliche Begriff-Kanonade bleibt uns hier zumindest teilweise erspart.
Man wundert sich trotzdem über den Wunsch vieler Brüder die Freimaurerei „reformieren“ und „fit für die Zukunft“ machen zu wollen, ohne darauf hinzuweisen, dass man dazu zunächst die Maurerei an sich voll durchdringen muss.
Dies setzt aber viel Arbeit und Geduld voraus. Unter anderem die Beschäftigung mit den Alten Pflichten, die so alt nicht sind und von denen man sich wünschen würde, die Brüder würden sich zumindest an diesen orientieren und danach wirken, anstatt nach einer Neuauflage zu rufen. Diese ist nämlich nicht nötig. Verstehen setzt aber die intensive Beschäftigung voraus.
Vielleicht hilft uns der 24-zöllige Maßstab dabei… aber wir leben eben in einer Fast-Food-Society.
Und ja, der Schuster und so…
Oha –
hier haben fleißige Unternehmensberater gewirkt. Die gestellten Aufgaben sind so umfänglich, dass ich schon jetzt vor der ersten Revision durch die sicher folgende Riege von demnächst neuberufenen Unternehmensberater in Deckung gehen möchte.
Eigentlich sollte “- die Welt doch die Freimaurerei nun endlich als Maßstab heranziehen und die Berufensten unter uns sollten dort zu Wort kommen -“, wo unsere Werte in neuen Verfassungen hinzugefügt, neu formuliert und geschmeidig formatiert werden könnten. Sollten wir uns nicht besser fragen, warum das immer noch nicht geschieht – kann das überhaupt unser Ziel sein: die Welt als behauenen Stein auf der Suche nach dem Licht in unseren Tempeln zu verbauen? Ob wir uns da nicht verschlucken oder gar verschluckt werden? Mir fällt das der Schuster ein, der bei — na Sie wissen schon!
Oha!!