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Bauen als Symbol und Praxis der Freimaurerei

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Die Freimaurerei fasst das ihr eigene Menschenbild und ihr Selbstverständnis hauptsächlich in drei großen Sinnbild-Komplexen zusammen, die immer wieder in verschiedenen Formen ästhetisch-rituell gestaltet werden: der Symbolik des Lichtes, der Symbolik des Wanderns und der Symbolik des Bauens.

Von Hans-Hermann Höhmann

Die Lichtsymbolik veranschaulicht den transzendenten Bezug des Freimaurers, seine Rückgebundenheit an den tragenden Grund seines Seins, seine Verantwortung und seine Hoffnung. Licht symbolisiert Lebenskraft und Lebensgrundlage, Sicherheit und vertrauenswürdige Ordnung. Licht steht aber auch für Aufklärung, für den menschlichen Akt der Wahrheitserkenntnis, dafür, dass der Maurer sich vor Lehren hüten soll, die das Licht der Vernunft nicht aushalten. Und es ist diese ausgreifende Bedeutung des Lichts als komplexes Symbol für Lebensquelle, Lebenskraft, moralischer Wegweisung und Suche nach Wahrheit, welche die „Lichtgebung“ zum zentralen Bestandteil des Aufnahmerituals und die „Lichteinbringung“ zum Kern der Weihe eines neuen Tempels macht.

Die Symbolik des Wanderns veranschaulicht den besonderen Charakter unserer Lebensreise. Wandermythen gehören zu den uralten Bestandteilen menschlicher Bewusstwerdung. Wanderepen wie Homers Odyssee erzählen nicht nur das Schicksal von Helden, sondern auch die Bestimmung des Menschen, Wanderer zu sein. Der Mensch ist unterwegs, er muss aufbrechen, er verändert sich, er hat Altes hinter sich zu lassen und selbst, wenn er zum Ausgangspunkt zurückkehrt, ist er verändert und hat die Chance, die Veränderung produktiv an sich selbst zu erleben.

Die Bilderwelt des Bauens schließlich umreißt Inhalt und Ziel unserer Arbeit: Wir bauen den Tempel der Humanität. Wir verstehen Sein und Zeit als sinnvoll zu gestaltende Bauwerke. Wir gehen davon aus, dass unserem Bauen eine wertgebundene Bauidee zugrunde liegt, die wir mit dem Symbol eines universellen Großen Baumeisters umschreiben, und wir verstehen uns selbst als Bausteine, deren Auftrag und Schicksal es ist, den Weg vom rauhen zum behauenen Stein zu nehmen, lebenslang und unabweisbar, aber – anders als der immer wieder scheiternde Sisyphos – mit der Hoffnung auf Gelingen und auf der festen Grundlage eines positiv-optimistischen Menschenbildes. Wir bauen eine Heimat für Menschen, eine Heimat, die nicht nur am großen Entwurf des Tempelbaus orientiert ist, die vielmehr vor allem im tagtäglichen Bemühen um menschenwürdige Wohnverhältnisse in den Alltagsgehäusen unserer Mitmenschen ihren Ausdruck zu finden hat.

Die genannten drei grundlegenden und komplexen freimaurerischen Bilderzählungen vom Licht, vom Wandern und vom Bauen sind großartige Vorgaben für das auf ihrer Grundlage zu vollziehende dramatisch-psychologische Erleben, das Inhalt unserer Rituale ist. Und immer wieder bestätigt sich beim Ritualvollzug, dass freimaurerische Rituale desto überzeugender und erlebnistiefer sind, je näher sie an die universellen Kerne archaischer Menschheitssymbole heranreichen.

Die Formen der Symbole und Rituale sind uns dabei durch die klare und feste Struktur des freimaurerischen Brauchtums vorgeschrieben. Und es ist gut, dass hinsichtlich der Verbindlichkeit unserer rituellen Formen Konsens in der Bruderschaft besteht. Nur durch den Ausschluss von Willkür lassen sich Desorientierung und Irritation abwehren, nur so kann – im direkten wie im übertragenen Sinne – Ordnung gestiftet werden. Gerade aber diese feste Ordnung in den Formen gewährleistet wiederum Freiheit im Ritualverständnis, und unser Zugang zu Symbol und Ritual kann undogmatisch, offen und kreativ sein.

Unser symbolisches Bauen folgt Regeln und verzichtet doch auf ein festes Bauprogramm. Freimaurerei ist mit Ideologie und Dogma nicht vereinbar, und für den nachdenklichen Maurer taugt kein rigide festgelegter Kurs. Gewiss: Die Freimaurerei hat zentrale Werte, Leitideen, die immer wieder um die Idee des auf Würde und Freiheit angelegten Menschen kreisen und die auch unsere Bilderwelten von Licht, vom Wandern und vom Bauen bestimmen. Aber Ideen sind nun einmal wie Sterne, die nie unmittelbar erreichbar sind und denen wir auch nicht die Pluralität der Auffassungen opfern dürfen, zu der wir Freimaurer uns bekennen. An Ideale darf man sich nur in offenen, der Kritik zugänglichen Suchprozessen annähern. Nicht selten haben wir erfahren, wie recht der Philosoph Karl Popper mit seiner Feststellung hat, dass der Versuch, den Himmel auf Erden zu verwirklichen, den Menschen oft genug die Hölle beschert hat.

Auch uns Freimaurern droht der Einsturz von Gebäuden, wenn wir zu sehr definieren, ideologisieren und polarisieren, wenn Programme und verbandspolitische Profile Vorrang haben gegenüber der einen unverzichtbaren maurerischen Grundsubstanz, bestimmt vom Dreiklang

  • intellektuelle Redlichkeit,
  • humanitäre Gesinnung und
  • engagierter Mit-Menschlichkeit in allen unseren Beziehungen.

Nicht ein festgelegter rigider Plan bestimmt somit das Bauen des Freimaurers. Freimaurerei als Baustil, darauf kommt es an. Und, meine lieben Brüder: kein abgeschlossener Bau ohne einen neuen Bauauftrag. Das Logenhaus ist zwar ein Raum zum Ausruhen, aber nicht zum Aussteigen, ein Archipel der Nachdenklichkeit, gewiss, aber keine Insel des Utopischen, sicher ein Tempel, aber ein Tempel, in dem gearbeitet wird, eine Bauhütte, eine Werkstatt.

Bauhütten waren nie Selbstzweck, Bauhütten hatten immer einen Auftrag, in Bauhütten wurde und wird immer weitergebaut.

Was soll gebaut werden? Und vor allem: wie sollen wir bauen?

Das freimaurerische Ritual – hier in der Bluntschli-Fassung der Großloge zur Sonne, die Br. Rudolf Jardon in das Ver Sacrum Ritual übernommen hat – gibt umfassend Auskunft: Ein Tempel der Humanität ist es, an dem wir arbeiten, eine Heimat brüderlicher Gesinnung ist zu schaffen, zu errichten sind eine Schule edler Menschlichkeit und eine sichere Stätte für alle, die Wahrheit suchen.

Hier wird sie wieder klar erkennbar, die große schöpferische Leistung der alten, freien und angenommenen Maurer, die Idee des Bauens auf die soziale, auf die moralische Welt, auf das Leben selbst zu übertragen, uns Menschen als Bausteine zu erfahren, die kein passives Material sind, die sich zwar einordnen müssen in den großen Bau der Mitmenschlichkeit, aber nicht als Zwang, sondern als Ausdruck individueller Verantwortung, verfügend über den Maßstab des Sittengesetzes, der sie lehrt, die symbolischen Werkzeuge recht zu gebrauchen, anzuwenden im offenen brüderlichen Miteinander auf der vom Ritual dafür bestimmten Grundlage der schönen, reinen Menschenliebe, der Brüderlichkeit aller.

Es sind die alten Sprachformen des Rituals, die uns als Grundlage der freimaurerischen Praxis zu ethischer Einübung verhelfen. Sie ernst zu nehmen in ihrer nachdrücklichen Schlichtheit schützt vor einer gar nicht so seltenen Fehlhaltung der Freimaurer: sich berauschen zu lassen vom Klang der eigenen Worte und zu meinen, im Tempel Humanität zu sagen, hieße bereits Humanität zu verwirklichen. Hier droht die Falle der Unglaubwürdigkeit, die darin besteht, bei Zweifeln im Inneren und bei Angriffen von außen nicht mit kritischer Prüfung und Korrektur reagieren, sondern mit einem Schwall neuer Wörter, Beteuerungen und Apologien. Wir haben aber nicht auf dem Markt der Parolen zu konkurrieren, sondern wir müssen mit Inhalten bestehen. Und das ist mit Arbeit verbunden: Die großen Bauvorgaben der Freimaurerei – Humanität, Brüderlichkeit, Gerechtigkeit, Friedensliebe und Toleranz – treten nur dadurch aus der Welt der Schlagworte heraus, dass wir uns um ihre Konkretisierung bemühen. Wer helfen will, eine humane Welt zu errichten, muss sich ein realitätsnahes, den Dunstkreisen der Stammtische fernes Bild der Wirklichkeit verschaffen und mit anderen Menschen guten Willens um Erkenntnis dessen ringen, was eine humane Welt angesichts menschenfeindlicher Tendenzen heutzutage bedeuten kann und wie eine solche Welt wenigstens ansatzweise zu erreichen wäre.

Das Logenhaus ist zwar ein Raum zum Ausruhen, aber nicht zum Aussteigen, ein Archipel der Nachdenklichkeit, gewiss, aber keine Insel des Utopischen, sicher ein Tempel, aber ein Tempel, in dem gearbeitet wird, eine Bauhütte, eine Werkstatt.
Bauhütten waren nie Selbstzweck, Bauhütten hatten immer einen Auftrag, in Bauhütten wurde und wird immer weitergebaut.

Was sind die Felder, auf denen wir uns zu bewähren haben, was sind die einzelnen Bauaufgaben?

Zunächst und vor allem: Wir müssen an uns selbst bauen, d.h., wir müssen uns selbst ausbauen, weiterentwickeln, menschlicher werden! Freimaurerei ist Einübungsethik. Wir haben uns einzuüben in ethisches Verhalten durch das Gespräch mit dem Bruder („nichts geht über das laut denken mit einem Freunde“), durch die Praxis der Brüderlichkeit in der Loge und durch die Praktizierung des Rituals.

Des Weiteren haben wir zu bauen an unseren Logen. Freimaurerei sollte nicht zuletzt als „Logenbaukunst“ verstanden und betrieben werden, eine Baukunst, durch die aus Logenvereinen Logengemeinschaften werden, wo Menschen in Mitmenschlichkeit zueinander finden, wo sie soziale Heimat antreffen und wo sie Kraft sammeln können für die Wechselfälle der Zeit. Damit ist keine bloße Idylle gemeint, und gewiss müssen Konflikte ausgetragen werden. Legitime Konflikte sollten freilich nicht mit Ehrgeiz und dem Ausleben willkürlicher persönlicher Neigungen verwechselt werden, die oft nichts mit Freimaurerei zu tun haben. Denn Freimaurerei ist nicht beliebig, und keiner von uns hat das Recht auf eine subjektive, eine selbstsüchtige Freimaurerei. „Logenbaukunst“ hat sich an strengen Maßstäben auszurichten und bedarf der kritischen Überprüfung durch ein sensibles Gewissen. Auch hier wiederum gelten die „Alten Pflichten“: „Der Maurer hat als Maurer das Sittengesetz zu befolgen“.

Wir haben drittens zu bauen an der Freimaurerei in unserer Zeit, an einer überzeugungskräftigen Gegenwartsfreimaurerei. Dabei geht es nicht um Erscheinungsbild und Marketing. Es ist ein leider immer noch weit verbreiteter Irrtum, es käme darauf an, Freimaurerei als Produkt besser zu verkaufen. Will man eine überzeugende Freimaurerei, so kommt es vielmehr darauf an, die Gestaltungsmöglichkeiten des Bundes zu bestimmen und seine Substanz zu verbessern. Nicht Quantität ist dafür ausschlaggebend, nicht die Zahl der Mitglieder, Logen und Hochgradvereinigungen entscheidet. Menschliche Qualitäten und überzeugende Inhalte, darauf kommt es an. Freimaurerei ist, was Freimaurer tun, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Werden wir also präsent in der Gesellschaft von heute nicht durch die Geschichten, die wir über uns erzählen, sondern durch die Kultur der Lebensweise, die wir spürbar für die Menschen in unserem Umfeld praktizieren.

Wir haben viertens zu bauen am Geflecht unserer ganz persönlichen menschlichen Beziehungen. Der moralische Bauriss gilt nicht nur für die Loge und die Freimaurerei allgemein, unsere ganz persönlichen Beziehungen zu anderen Menschen stehen auf dem Prüfstand. „Beziehungsbaukunst“ ist angesagt, in der Familie, im Freundeskreis, in der Loge, im Beruf. Freimaurerei ist nicht zuletzt ein Umgangsstil! „Vom Umgang mit Menschen“ hat einer der wichtigsten Freimaurer des 18. Jahrhunderts, Freiherr Adolf Knigge, sein Hauptwerk genannt. Und insbesondere als Umgangsstil hätte sich Freimaurerei zu bewähren, wenn sie glaubwürdig sein will.

Freimaurerei, meine Brüder, so lautet mein Fazit, ist eine Baustelle mit vielen Dimensionen.

Wir freuen uns über das Erreichte, das Geschaffene. Doch wir wissen, dass wir weiter bauen müssen an unserem Bund in seiner untrennbaren Einheit von brüderlicher Gemeinschaft, humanitärer Ideenwelt und symbolisch-ritueller Form. Wir sollten wissen, dass es da, wo immer diese Einheit verlorenging, bergab ging mit der Freimaurerei. Wenn die Gemeinschaft nicht stimmte, fühlte sich niemand wohl in der Loge; wenn die ideelle Wurzel abstarb, füllte sich Freimaurerei mit beliebigen Inhalten zwischen religiöser Sekte und politischem Zirkel, ja gar Mitläufer der Diktatur; wenn Brauchtum und Ritual vernachlässigt oder für Schauzwecke instrumentalisiert wurden, verlor die Freimaurerei ihre Identität stiftende Grundlage. Freimaurerisches Bauen bedeutet also nicht zuletzt, der Gefahr zu begegnen, das Ritual einer falsch verstandenen Modernisierung zu opfern. Im Gegenteil: Die schöpferische rituelle Arbeit erst, das Arbeiten mit den großartigen Bilderwelten des Lichts, des Wanderns und des Bauens, sichert den Kern der Freimaurerei und übt den Bruder ein in den richtigen Umgang mit sich selbst, mit der Transzendenz, mit anderen Menschen und mit den Dingen der Welt. Kurz: die oft so unzeitgemäß empfundenen Rituale tragen bestimmend dazu bei, Freimaurerei als sozial tragende und Daseinsorientierung vermittelnde Lebenskultur zu erhalten.

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