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Der Autor beschäftigt sich in mehreren Zusammenhängen mit “der ersten Stunde” und mahnt wie einer der Logengründer nach der “dunklen Zeit” des Unrechts, die Erkenntnisse der Freimaurerei zu nutzen, statt sie zu verspielen.
Von Bernd Soyke
Wer kann sich an seinen ersten Lebensmoment erinnern? An den ersten Augenblick unseres Lebens, das erste Licht und unseren allerersten Atemzug können wir uns nicht entsinnen. Die schützende Hand der Eltern, den warmen ruhigen Atem der Mutter und die Freude um uns herum haben wir vielleicht gespürt, sie hat uns möglicherweise auch geprägt, aber eine aktive Erinnerung an unseren ersten Schritt ins Leben haben wir nicht.
An die erste Stunde einer Aufnahme zum Freimaurer wohl aber schon. Und diese Erinnerung wird jedes Mal aufs Neue geweckt, wenn ein Suchender hereingeführt und dem in diesem Raum, der für uns eine ganz besondere Bedeutung hat, ebenfalls das Licht gegeben wird. Und mit dieser Initiation ein neuer Bruder in unserem Bunde seine Aufnahme erlangt.
Doch auch wenn mancher von uns diesen Augenblick mit einer „zweiten Geburt“ vergleicht, ist doch so vieles verschieden. Gleich wie unser junger Bruder, der eben aufgenommen wurde, haben auch wir voller Hoffnung und Erwartungen auf jenem Stuhl Platz genommen, der dem Jüngsten unter uns vorbehalten ist. Und zwar vollkommen bewusst über unser Tun, die konsequente Umsetzung einer reiflich überlegten Entscheidung. Ich denke, uns war in diesem Moment klar, daß diese Stunde unser Leben ändern wird.
Überwältigt von vielen Eindrücken, deren tieferer Sinn sich uns erst zu einem späteren Zeitpunkt erschließt, haben wir uns – bewusst oder unbewusst – manche Fragen gestellt. Werden meine Erwartungen und Wünsche erfüllt, was wird von mir erwartet, kann ich dem allem gerecht werden? Und auch in den Kolonnen stellt mancher Bruder sich ähnlichen Fragen: Wurden meine Erwartungen erfüllt, konnte ich den Anforderungen meiner Brüder gerecht werden, was bleibt zu tun?
Nun, im Laufe unserer freimaurerischen Entwicklung lernen wir vor allem Eines: uns selbst zu erkennen! Diese recht einfache Aufgabenstellung, doch oft diese so schwer zu erlangende Erkenntnis, kann durch brüderliche Hilfe unterstützt werden. Oftmals stellen wir fest, dass diese Selbsterkenntnis eine recht widerspenstige Persönlichkeit besitzt, sie wandelt sich und versteckt sich gerne in den Wirren des Alltags. Wir können aber das Licht nutzen, welches uns an einem Tag wie dem heutigen gegeben wurde und, Diogenes gleich, den Menschen in uns suchen. Selbsterkenntnis setzt die Achtung vor sich selbst voraus, ich muss mit mir im Reinen sein, um das Licht nutzen zu können. Und wenn ich dann bei mir einkehren kann, meinen Tempel in mir aufsuche, dann habe ich die Kraft, die Aufgabe anzugehen.
Vielleicht hatten die Brüder, welche im Jahr 1778 in Hameln die Loge „Zur Eiche“ gründeten, ähnliche Absichten. Eventuell aber waren es ganz andere Beweggründe, welche die Brüder Avenarius, Brauns und Andere dazu bewogen haben, nun auch in Hameln eine Freimaurerloge zu gründen. Es war jene Zeit der Aufklärung, in welcher die Freimaurerei ihre erste große Entwicklung nahm. Vieles, was wir heute als selbstverständlich annehmen, war damals noch völlig im Ungewissen. Neben den Aufklärern tat sich mancher Scharlatan hervor und so wurde kurz nach der Lichteinbringung in unserer Bauhütte ein Kongress in Wilhelmsbad einberufen, welcher der Freimaurerei ihre Würde zurückgab.
Zweimal noch musste das Licht in die Hamelner Loge wieder eingebracht werden, weil die politischen Umstände ein zeitweises Ruhen der Arbeiten erforderlich machen. Zu Beginn des Jahres 1946, also gleichsam in der „Stunde Null“ Deutschlands, kamen die Hamelner Brüder wieder zusammen und erlebten hier ihre „erste Stunde“ der Freimaurerei nach all dem Grauen. Und da legte Bruder Wilhelm Fischdick seine Zeichnung auf, welche glücklicherweise erhalten geblieben ist. Dieser als „Bußzeichnung“ uns vorgehaltene Spiegel beeindruckt noch heute durch die Kraft der Worte und Tiefe des Sinns. Vor allem aber durch die in weiten Teilen durchaus aktuelle Mahnung an die Brüder, sich stets dem tieferen Sinn von Ritual und der Arbeit an uns selbst zu vergewissern.
Wir leben in guten Zeiten. Und gute Zeiten machen sorglos und träge.
Heute stehen wir als Bauhütte wieder „in vollem Saft“, die Loge arbeitet im besten Sinne, unser Haus steht gut bestellt da und bietet den Brüdern eine komfortable Heimstatt für unsere Zusammenkünfte. Jedoch möchte ich gerade deshalb Bruder Fischdick zitieren: „Was haben wir noch aus eigener Anschauung gewusst von der Gegnerschaft alter Zeiten, so daß man zu geheimer Stunde um Hochmitternacht, auf der Flucht vor der Sonne des Tages, in den Bauhütten zusammenkommmen mußte, zu einer Gemeinsamkeit, die gerade darum aus Verschwiegenheit ihren festen Bestand schöpfte?“
Wir leben in guten Zeiten. Und gute Zeiten machen sorglos und träge. Die Geschichte unserer eigenen Loge sei uns hierbei Lehre und Richtschnur. Ich wünsche mir, daß auch die nachfolgenden Generationen unser Arbeiten als würdig achten. Dazu gehört auch, daß wir unsere Wünsche und Träume beizeiten – also zu Lebzeiten – umsetzen.
„Die with memories, not with dreams“ sagt man in England. “Sterbe mit Erinnerungen, nicht mit Träumen” heißt auch, daß es unsere Taten sind, die zählen. Selbst ein noch so gut gefaßter Vorsatz bleibt ein Traum, wenn wir es unterlassen, ihn zu realisieren. Arbeiten wir daran – in uns, mit unseren Brüdern – und besser heute noch als morgen!