Von Stephan Moers
Zunächst zur Klarstellung: Die Beschreibung meiner Erlebnisse, die ich in der „Humanität“ Ausgabe 3/2021 unter dem Titel „Die erstarrten Meister“ veröffentlicht habe, bezieht sich bewusst nicht auf eine bestimmte Loge, sondern ist eine Sammlung von Eindrücken und Begebenheiten, wie ich sie zwischen Brüdern und in der Freimaurerei allgemein erlebt habe. Jeder Rückschluss auf eine bestimmte Loge, auch auf meine Mutterloge, ist somit nicht korrekt.
Bereits in der Ausgabe 4/2021 wurden einige Leserbriefe abgedruckt, zu denen ich mich äußern möchte: Es werden mir darin eine Wortwahl und ein Sprachduktus in den Mund gelegt, der so nicht gegeben ist und auf deren Basis ich meinen Zwischenruf nicht bewertet wissen will. Ich differenziere nicht zwischen Brüdern, die mir nahestehen oder eben nicht. Ich habe lediglich festgestellt, dass ich mit einigen Brüdern Kontakt habe und ich andere aber nicht oder nicht sehr vermisse. Das hat mit „Nahestehen“ nichts zu tun. Weiterhin habe ich nie geschrieben, dass ich für die Freimaurerei nichts mehr empfände. Dies ist eine grundlegende Verzerrung meines Textes. Ich habe lediglich geschrieben, dass ich im Hinblick auf Ritual und Bruderabend kein Vermissen spüre und genau dieses Gefühl ist es ja, das Besorgnis und einen Reflexionsprozess in mir ausgelöst hat.
Die auf meinen Zwischenruf bezogenen Leserbriefe beinhalten somit Unschärfen und verdrehen die Bedeutung meines Textes und geben ihm Konnotationen, die so von mir nicht ausgehen. Ich habe in dem Zwischenruf immer wieder deutlich gemacht, dass in mir Zweifel sind, ich von rein subjektiven Einsichten schreibe und nichts von alledem repräsentativ sein muss. Mir zu unterstellen, ich verträte meine Einsicht als absolut gegeben oder gar objektiv, disqualifiziert die Kritik.
Dass mir per Leserbrief die Deckung angeraten wird, ohne mich zu kennen, erstaunt mich. Hätte ich meinen Zwischenruf von Angesicht zu Angesicht oder als Zeichnung gehalten, wären danach Brüder aufgestanden und hätten mir gesagt: „Stephan, Du solltest decken“? So einen Vorgang habe ich (im persönlichen Umgang in der Loge) nie erlebt. Nun bin ich also ein „nutzloser“ — siehe den Leserbrief von Rolf Eicken — Zweifler, bei dessen „Auslese“ man vor gut zwölf Jahren gehörig geschlampt hat.
Zweifel als elementarer Bestandteil der Freimaurerei
Ich hoffe, dass die Brüder meiner Mutterloge zu einem anderen Ergebnis kommen mögen. Dennoch, dem Zweifler, dem Fragenden, dem, dem das Quo vadis so sehr auf der Seele brennt und der um Klarheit ringt, dem wird ein „Geh doch!“ entgegengehalten. Doch neben den Leserbriefen an die Redaktion haben mich persönlich insgesamt 47 Reaktionen von Brüdern erreicht. 43 davon stimmten meinen höchst subjektiven Eindrücken zu oder erweiterten sie sogar. Ich habe mit meinem Text keine Bestätigung oder Anerkennung gesucht, sondern Klarheit. Ich erhielt sie in unterschiedlichster Form.
Brüder, die gebürtig nicht aus Deutschland kommen, berichteten mir von offenem Rassismus, dem sie in ihrer Loge begegneten. Das zu lesen, hat mich zutiefst beschämt, und hierzu ist meine Meinung fest und klar: Das Herz eines Menschen ist mir Maßstab, nicht die Herkunft oder Religion bzw. Weltanschauung. Die Werte der Freimaurerei haben mir nie Anlass gegeben zu denken, dass es anders wäre. (Im Übrigen ein Grund, warum ich nicht geschrieben habe, ich würde nichts für die Freimaurerei empfinden.) Die Besorgnis, dass rassistisches, identitäres und auch verschwörungstheoretisches Gedankengut durch Brüder in die Logen getragen wird, wurde vielfach geteilt. Ein Umstand, der die Brüder und die Logen aufhorchen und zum Handeln veranlassen muss!
Viele Brüder schrieben mir aufgrund meiner strukturellen Kritik an der Freimaurerei und haben diese durch eigene Gedanken ergänzt. Vielfach wurde hinterfragt, was Freimaurerei ausmache und ob sie nicht, so wie sie ist, auch zu falschen Ergebnissen führen könne. Br. Christian Senne brachte den Gedanken ein, dass es in der Freimaurerei zu sehr um Ordnung, statt um Orientierung gehe. Freilich, in einer höchst dynamischen Umgebung suchen viele Fixpunkte. Die Frage ist aber, was dadurch fixiert wird. Ist es das Denken in Organisationsstrukturen und Hierarchien? Der Glaube daran, dass das Wiederholte das Richtige sei? Ein anderer Bruder fragt, ob nicht unter dem Deckmantel der „Alten Pflichten“ eine „Verweigerungshaltung“ entstehen könnte. Ein Bruder, der bereits gedeckt hatte, teilte mir mit, dass er den „Meinungsnarzissmus“ nicht mehr ausgehalten habe. Ein Bruder Geselle äußerte sich dahingehend, dass er sich mitunter erschlagen fühlt von Meinungsäußerungen älterer Brüder. Ganz allgemein wünschten sich die meisten Brüder, dass mein Zwischenruf wachrütteln möge. Einige Brüder haben geäußert, dass die Zukunft der Freimaurerei hinter ihr liege. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute wurde, so die Meinung eines Bruders, nicht genutzt, um einen Bund zu formen, dessen Wertebezug und Ethos die höchsten Institutionen der Welt (Staaten, UN etc.) veranlassen, diesen zu konsultieren.
Die Gedanken sind höchst heterogen und vielleicht liegt hierin sogar eine mögliche Antwort auf mein Zweifeln. Die Zuschriften zeigen, dass viele Brüder jeweils ihr individuelles Zweifeln haben. Manchmal ist es unerträglich, wenn es zum Beispiel durch Rassismus oder Narzissmus ausgelöst wurde. Manchmal wird es sehr philosophisch, wenn man mit Gedanken und Ideen hadert. In jedem Fall ist es richtig, den Zweifel zuzulassen, ihn zu untersuchen, um dann aktiv für sich eine Entscheidung zu treffen. Zweifeln ist für mich ein elementarer Bestandteil der Freimaurerei.
Frei von Dogmen, aber nicht von Dogmatikern
Ganz besonders berührend und hilfreich fand ich jene Zuschriften, die auf mich persönlich eingegangen sind und mir ein offenes, kritisches Wort und gleichzeitig eine warme Umarmung gegeben haben. An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, wie falsch es ist zu behaupten, ich empfände nichts für die Freimaurerei, denn ich weiß sehr wohl, dass es die Menschen dieses Bundes sind, die mich auf eben jene ehrliche, kritische aber immer liebevolle Weise reflektieren.
Mein Zwischenruf hat die unterschiedlichsten Reaktionen ausgelöst, hat für Diskussionen in Logen gesorgt und ich habe dadurch Kontakt mit großartigen Brüdern gehabt. Die Kritik aus meinem Zwischenruf erhalte ich aufrecht und ich vertrete sie mit Nachdruck. Die Freimaurerei sollte einen aktiveren, einen konstruktiveren Weg finden, um im Hier und Jetzt auch gegen Strömungen zu bestehen, die Hass und Gewalt bevorzugen und das klare, kritische und logische Denken ablehnen. Sie sollte sich eine Agenda geben, die nicht nur aus Reflexionen besteht, die auf eine 300 Jahre alte Aufklärung rekurrieren. Es wird schlicht nicht ausreichen, Kind dieser Epoche zu sein. Sind wir erwachsen? Und natürlich will und muss die Freimaurerei immer frei von Dogmen sein. Aber ist sie auch frei von Dogmatikern?
Ich bin also überzeugt: Der Zweifler, so meine höchst individuelle Einsicht, ist der Zündler. Durch ihn gerät immer wieder in Brand, was durch bloßes Jasagen, Anerkennen und Herbeten zu Asche verfallen würde. Er traut sich, auch dem honorigsten griechischen Philosophen zu widersprechen, denn Perikles irrt. Kein Mensch in einem Staat oder einer Loge muss auch nur irgendeinen Nutzen erfüllen, außer Mensch zu sein. Die gegenteilige Ansicht öffnet der Knechtschaft und Versklavung (auch des Geistes) Tür und Tor, gäbe es auch nur die kleinste Möglichkeit, für irgendeine Institution zu argumentieren, dieser oder jener Mensch wäre „nutzlos“.
Das Suchen geht für mich weiter. Ich sehe mich auf dem Weg. Ob es ein gemeinsamer sein wird, das wird sich zeigen.
Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 5-2020 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.