© Willie Beckmann
Von Alexander Walter
Eine Reise mit den Masonic Bikern
Das Reisen ist in der Freimaurerei von besonderer Bedeutung. Als zielgerichtete Ortsveränderung durch Bewegung steht es unter anderem für Entwicklung, Bildung und Perspektivwechsel. Maurerei ist Wanderschaft im Leben, Motorik des Geistes, Dynamik des Herzens. Der Ort, an den der Bruder reist, das Ziel, zu dem er sich begeben will, ist er selber. Arbeit am rauen Stein ist also gleichsam die Reise zu ihm. Freimaurerei ist insofern die Ausbildung zum Psychonauten, die Anleitung, das eigene Innere, inspiriert von brüderlichen Vorbildern, Symbolen und Ritualen, durch sinnliche und tätige Erfahrung zu erkunden. Immer orientieren die Reisen, stets sind sie instruktiv. Und von einer aus sehr vielen möglichen maurerischen Reisen will ich hier berichten.
Metall
Metalle sind verformbar, glänzen und leiten Elektrizität und Wärme. Die Atome der chemischen Elemente der Metalle gehen metallische Bindungen ein, begrenzen also sozusagen ihre Freiheit, finden eine Ordnung ihrer freien Elektronen in Gittern, und werden so erst wesentlich. Ein einzelnes Atom kann noch kein Metall sein. Dazu wird es erst durch Bindung. Darin ähnelt das Metall dem Menschen. Auch er kann nur in Verbindung, in Beziehung, in Relationalität und Referenzialität wesentlich werden. Und das „wesentlich werden“ markiert, wie angedeutet, das Ziel der maurerischen Reise. Die Königliche Kunst trägt genau dem Rechnung. Denn die Arbeit am rauen Stein, der Weg vom Material zur Form, von der Natur zur Kultur, der Kunst durch Kunst, ist ein individuelles Projekt in Gemeinschaft, ist Individuation durch Sozialisation unter freimaurerischen Vorzeichen und Zeichen.
Aus Metallen machen wir Münzen, Schmuck und Maschinen, Sinnvolles und Sinnloses. Die Metalle mögen mit ihren natürlichen Materialeigenschaften vorgeben, was man aus ihnen machen kann, der menschliche Geist aber entscheidet gestaltend, was aus ihnen wird. Manchmal machen wir Motorräder aus ihnen. Und auf ihnen lässt sich vortrefflich mit den Brüdern reisen, mit den Masonic-Bikern die Welt „erfahren“. Wir entscheiden nicht nur eigenverantwortlich, was wir aus den Geschenken, die uns der große Baumeister aller Welten durch die Natur gegeben hat, herstellen, konstruieren und bauen. Es ist auch an uns, in unserer Verantwortung zu klären, was wir mit den menschlichen Schöpfungen generieren wollen. Wir beispielsweise wollen einen Tempel der Humanität bauen.
Die Steine, derer wir dabei bedürfen, sind bekanntlich die Menschen, die Maurer, die durch die Arbeit an sich glatt und baufähig geworden sind, die zu sich gereist sind. Begünstigen lässt sich diese innere Reise nicht nur durch symbolische, sondern auch unzweifelhaft durch äußere Reisen. Die maurerischen Motorradfahrer beherzigen dies in besonderer Weise. Dies nicht nur durch gleich zwei sie verbindende intensive Freizeitaktivitäten, sondern auch durch deren zugrundeliegende normative Lebenshaltungen. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität werden theoretisch beleuchtet und praktisch umgesetzt. Um Motorrad zu fahren und am rauen Stein zu arbeiten, um tatsächlich und symbolisch zu reisen, bedarf es der Freiheit. Sie ist Voraussetzung und Ergebnis der Freimaurerei und des Motorradfahrens.
Feuer
Feuer und Flamme bin ich mittlerweile für die Motorradtouren, die ich meist das Vergnügen habe im Beiwagen meines Bruders und Freundes Willie erleben zu dürfen. Ob mit den Brüdern unserer guten Bauhütte in Koblenz, den Masonic Bikern West, jenen im gesamten Bundesgebiet oder denen aus der Schweiz, stets ist die gemeinsame Ausfahrt nicht nur eine Freude. Sie bildet auch, schafft Kontakte, Verbindungen, Bekanntschaften und Freundschaften. Tolerant und bruderliebend wird sich auf der Winkelwaage und auf der Kurbelwelle begegnet. Bei den Gesprächen kann lebenserfahrungsbasiert viel über verschiedene Regeln, Pflichten, Rituale und Bräuche erfahren, diskutiert und erörtert werden.
Die gemeinsame Saison hatten Willie und ich mit einigen Fahrten an Mosel und Ahr begonnen. Zu zweit waren wir in Schuld, einem Ort, den es nach der Flut im Juli heute so nicht mehr gibt. Mit einer Schwester und einigen Brüdern ging es genau drei Tage vor der Hochwasserkatastrophe unter anderem ins Café „Ahrwind“. Das und die benachbarte Tankstelle, die von der Tochter eines Bruders betrieben wurde, gibt es so heute nicht mehr. Da ich unweit des Ahrtals lebe, viele meiner Freunde, Patienten, Kollegen und Bekannten dort beheimatet sind oder waren, musste ich erleben, dass nicht nur das Feuer, sondern auch das Wasser immense Schmerzen bereiten und eine gigantische Zerstörung anrichten kann.
Nun aber sollte es erst einmal nach Thüringen, genauer Rohrbach gehen. Ein größeres Treffen in Wolfenbüttel früher im Jahr musste leider Corona-bedingt abgesagt werden. Für die Masonic-Biker ist Rohrbach ein Ort mit historischer Bedeutung:
Nachdem man sich in den ersten Jahren ab 2003 auf einem Campingplatz in Georgenthal — ebenfalls in Thüringen — traf, wurde ab 2009 das Hotel in Rohrbach die Heimat der Masonic-Biker Deutschland. Bis zur Schließung des Hotels 2017 traf man sich hier. Tradition ist bekanntlich nicht die Bewahrung der Asche, sondern das Weiterreichen der Flamme und so muss man Willie ganz besonders dankbar sein. Denn durch sein Engagement und seine Organisation konnte erstens doch noch eine Zusammenkunft von rund 30 Biker-Brüdern 2021 stattfinden und zweitens konnte die Unterkunft, trotz eines Verkaufs dieser in der jüngeren Vergangenheit, als Ausrichtungsstätte erhalten werden. Eine Unterkunft, in der sich die Gruppenfotos aus den verschiedenen Jahren noch immer an den Wänden finden, Bilder, die auch die Erinnerung an Gründungsmitglieder konservieren, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr mitfahren können.
Wasser
Am Donnerstag ging es für mich also erst einmal mit dem Bus in die Nähe von Montabaur, wo wir Freitagfrüh starten wollten. Ich muss schon sagen, dass einem die übrigen Fahrgäste außerordentlich höflich und wohlwollend begegnen, wenn man in Kutte mit dem Bus fährt. Irgendwie war mir das zunächst doch als sehr unpassend erschienen. In maurerischer Bikerjacke mit Blindenstock und Motorradhelm in den Händen im Bus, leicht seltsam. Immerhin hat mich niemand angesprochen, so dass ich nicht in die Verlegenheit gekommen bin zu erklären, dass ich im Begriff war, blind auf eine Motorradtour mit Freimaurern zu fahren.
In Koblenz hatte ich beim Wechsel des Busses reichlich Zeit und konnte noch, nachdem ich den richtigen Bussteig gefunden hatte, ein Telefonat erledigen. Eine Frau, die in Kürze in der Loge in Göttingen Aufnahme finden wird, wollte ich noch sprechen. In Reaktion auf die Überschwemmungen an der Ahr hatte ich mit einem Whiskyfreund zu Spenden für die Flutopfer aufgerufen. Die Spendenbereitschaft in meinem Schwestern-, Brüder-, Freundes- und Bekanntenkreis war beeindruckend und so kamen knapp 27000 Euro alleine auf diesem Wege zusammen. Und einer der Menschen, die sich in dieser Weise solidarisch und großzügig gezeigt hatten, war Susanne. Eine gute Gelegenheit und ein guter Grund die Facebook-Bekanntschaft mit Affinität zum Feuerwasser näher kennenzulernen. Ebenso wie das Feuer kann das Wasser Leben spenden oder Leben nehmen. Humanität bedeutet auch, dass man das Leid und das Elend, das beide mitbringen können, zu lindern versucht.
Als freitags dann die Tour startete, ging es auch direkt mit Regen und Verkehrsbehinderungen los. Nachdem wir die ersten beiden Brüder eingesammelt hatten, kamen wir zum nächsten Treffpunkt auf dem Weg nach Rohrbach bereits eine Stunde zu spät. Und auch auf der weiteren Fahrt wurden wir nass. Beim letzten Zwischenstopp nahe Fulda wurden wir beim nächsten Bruder, der sich auf der Weiterfahrt anschloss, gastfreundlich empfangen und konnten uns stärken. Gegen 17 Uhr kamen wir dann endlich an. Viele Brüder warteten bereits vor der Unterkunft. Wir hatten den Schlüssel und waren leicht verspätet.
Luft
Nun, Verspätungen können und dürfen in diesem Kontext vorkommen. Hauptsache keine Unfälle. So viel Glück hatte unser Bruder Angel bei der Anreise leider nicht. Ob es am Wind, der Luft in den Reifen oder etwas anderem gelegen hatte, erfuhr ich nicht. Doch fand er sich leider nach seinem Sturz mit gebrochenem Schlüsselbein in einem Krankenhaus wieder. Wir alle haben das sehr bedauert, er hat uns gefehlt. Dennoch war der Abend geprägt von der Wiedersehensfreude, von dem Glück der Vereinigung gleicher Ungleicher. Brüderliche Bier- und Benzingespräche schlossen sich an die offizielle Begrüßung durch Willie an. Und wie immer war natürlich vorab zu klären, in welcher Weise wir am nächsten Tag bei der Ausfahrt in der Kolonne der Straßenverkehrsordnung den nötigen Respekt erweisen würden.
Nach dem Grillen und dem einen oder anderen Bier ging es also zum Matratzenhorchdienst. Und am nächsten Morgen dann nach dem Frühstück zur gemeinsamen Ausfahrt. Jene wird traditionell mit Kaulis Biker-Ritual eröffnet. Ein humorvoller, aber nicht minder schöner und ernsthafter Auftakt, bei dem an den Säulen getankt wird, der Meister vom Sattel an der Spitze der Kolonne das Licht von den Hütern der Landstraße erhält und durch die Motorradhelme angezeigt wird, dass man als Maurer in Sicherheit ist. Für diejenigen, die es sehr genau nehmen, sei erwähnt, dass es sich nach freimaurerischem Terminus dabei um ein Zeremoniell und nicht um ein Ritual handelt. Aber man muss doch sagen, dass gerade die Weisheit, Stärke und Schönheit sich in ihm akustisch ganz besonders gut ausdrücken durch die leistungsstarken Motoren der Maschinen, die, recht bedient, Klänge absondern, die dem Bruder wohl bekannt und vertraut sind, auch wenn sie in anderem Gewand daherkommen.
Bruder Eberhard hatte die Ausfahrt geplant und fand sich an der Spitze der Kolonne, um uns zu führen. Den Fahrtwind um die Ohren, die zusätzlich mit Rockmusik und Metal versorgt waren, ging es also auf die Straßen zwischen Thüringer Wald und Saale. Eine hügelige Angelegenheit mit tollen Kurven und reichlich Fahrspaß. Hin und wieder versagte der Motor der einen oder anderen Maschine ausgerechnet vor einer Querstraße. Immerhin konnte so die Kolonne beisammenbleiben. Wüsste ich es nicht besser, müsste ich annehmen, dass der Freimaurer auch manchmal ein windiger Typ sein kann. Nach einem üppigen Mittagessen ging es zurück in Richtung Unterkunft, wo uns noch reichlich Zeit blieb, um die Tempelarbeit vorzubereiten. Allerdings erst, nachdem wir mit Kaulis Biker-Ritual die Ausfahrt offiziell und zeremoniell beendet hatten. Wieder mit meinem Blindenstock als Zeremonienstab.
Erde
Für viele war die Tempelarbeit im Erdgeschoss unserer Unterkunft ein sehr besonderes Erlebnis. Einerseits, weil sie teilweise den rituellen Ausgang aus der Coronapause bedeutete, andererseits wegen der regelhaften Außerordentlichkeit des Rituals. Corona-bedingte Anpassungen, Säulen aus Bierkästen und andere Improvisationen minderten das gemeinsame Erleben des Rituals in keiner Weise. Nun, in meinem Fall mag die Aussage nicht verwundern, aber ich bin ohnehin der Überzeugung, dass dasjenige, was das äußere Auge beim Ritual sieht, zweitrangig ist. Entscheidend sind die Bilder vor dem inneren Auge. Und analog gilt das für die anderen Sinne. Verbundenheit, Brüderlichkeit oder die Bruderkette stellen wir physisch und symbolisch wirkmächtig dar, aber letztlich müssen wir sie mit der inneren Haut fühlen und spüren.
Durch das und mit dem Ritual stellte sich sogleich ein erhabenes Gefühl der Brüderlichkeit bei allen Teilnehmern ein. Und auch der Humanität hatten wir genüge getan. Die Sammlung erbrachte über 1000 Euro für ein Bildungsprojekt in Indien, die nach weiteren Zuflüssen, unter anderem durch die Sammlung beim Jahrestreffen der Swiss Masonic Biker, auf rund 3500 Euro anwuchsen. Als Freimaurer können wir von den Masonic Bikern einiges lernen. Wir sind Teil der Weltbruderkette. Und Humanität kann es ohne den Menschen nicht geben. Dieser wiederum braucht einen Lebensraum, die Erde. Zerstören wir sie, nehmen ihr die Chance auf Regeneration, so wird sie dies nicht nur mit Wasser, Feuer und Wind bebend anzeigen, sie wird die Bereiche, in denen ein Leben in Wohlstand möglich ist, auch weiter verknappen. Humanität wird dann immer schwieriger und nötiger werden. Und so ernst man diese Probleme nehmen muss, so ernsthaft man die Freimaurerei betreiben sollte, Gelassenheit, souveräne Entspanntheit und Humor, wie man sie unter den Bikerbrüdern findet, könnte es mehr bei uns geben.
Aus Erde sind wir gemacht und zu Erde werden wir wieder. Dazwischen sollten wir einander zugeneigt sein, uns unterstützen und helfen. Berührt, ergriffen und bewegt durch die Tempelarbeit, angeregt zur Reflektion durch die Zeichnung, ging es dann zum Abendessen, wieder ins Restaurant gegenüber, wo uns Thüringer Klöße erwarteten. Erneut gab es in freien Gesprächen viel Erhellendes über die Königliche Kunst in Erfahrung zu bringen. Danach unternahmen wir noch einen halbherzigen Versuch, die Säulen der Weisheit, Stärke und Schönheit leerzutrinken, was aber angesichts der Zurückhaltung, die aufgrund der sonntäglichen Heimreise geboten war, nicht gelang. Vielleicht sollte aber auch immer noch ein wenig Weisheit, Stärke und Schönheit übrigbleiben. Schließlich muss die Arbeit weitergehen. Den Tank eines Motorrads fährt man ja auch nicht vollständig leer.
So machten wir uns nach dem Frühstück am Sonntag auf die Rückreise – die norddeutsche Fraktion nicht ohne einen Zwischenstopp bei Bruder Angel. Nach den herzlichen Verabschiedungen noch einmal für sieben Stunden die Kräfte der Natur und des Menschen im Beiwagen wahrnehmen. Ein brüllender Motor aus Metall, die Beschleunigung als Feuer unter dem Hintern, das Wasser der Wolken als Regen prasselnd auf dem Helm, die Luft als Wind und Widerstand am Körper und die asphaltierte Erde als Empfänger des Gummis der Reifen. Fliehkräfte, Kurven und Geschwindigkeit als Begleiter und Katalysatoren meiner Reise nach innen. Wer lernt, zentrifugalen Kräften zu widerstehen, der wird umso deutlicher diejenigen zentripetalen Kräfte ausbilden, derer es bedarf, den Weg zu seinem inneren Kern widerstandsüberwindend zu gehen. Sich eigenständig und eigenverantwortlich entwickeln, und doch nicht alleine und selbstgerecht. Vorwärtskommen aus eigenem Antrieb, und doch nicht bindungslos. So ist Maurerei, so ist Motorradfahren. Individuelles Glück in Gemeinschaft.
Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 6-2021 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.