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Freimaurers Werkzeugkasten – Teil 2: Der 24-zöllige Maßstab

Von Hajo H. Frerichs


Der 24-zöllige Maßstab

Die Freimaurerei verfügt über eine Vielzahl von Symbolen. Sie wurden übernommen aus der christlich-abendländischen Tradition, aus den alten Mysterien- und Lichtkulten und vor allem aus dem Bauhandwerk. Daher stammen jene Symbole, die wir für den Bau des „Tempels der Humanität“ benötigen. Es sind die Werkzeuge, mit denen wir an uns selbst, an unserem Rauen Stein der eigenen Persönlichkeit arbeiten. Wir können sie also — um es einmal in eine profane Sprache zu übersetzen — zur Prüfung und Korrektur unserer eigenen Lebensführung einsetzen.

Diese kleine Reihe in der „Humanität“ soll unsere Werkzeuge in kurzen Zeichnungen vorstellen und ihre Anwendung erklären.

Was finden wir im Ritual?

Meister: Woran arbeiten die Lehrlinge?
2. Aufseher: Am Rauen Stein.
Meister: Welches sind ihre Werkzeuge?
2. Aufseher: Der Spitzhammer und der 24zöllige Maßstab.
Meister: Wozu dienen sie?
2. Aufseher: Der Spitzhammer, um die Ecken der Unvollkommenheit abzuschlagen, der Maßstab, um bei dieser Arbeit die Zeit mit Weisheit einzuteilen

 

Welche Bedeutung hat der Maßstab?

Der 24-zöllige Maßstab ist das symbolische Messwerkzeug der Lehrlinge, ein Werkzeug des Zeremonienmeisters und im Meisterritual ist er ein zentrales Symbol in der Hiramlegende. In den Bauhütten der operativen Freimaurer diente der Maßstab als Werkzeug zur Festlegung und Kontrolle von Strecken- und Raummaßen. In den spekulativen Freimaurerlogen wurde aus dem 24-zölligen Maßstab ein Symbol für die Zeit. Er soll uns mahnen, die uns Menschen gegebene Zeit weise zu nutzen.

Zur Messung von Strecken und Räumen stehen seit der Antike Werkzeuge zur Verfügung. Die Nutzung von Maßstab und Knotenschnur eröffnete bereits damals den Menschen die Möglichkeit zur Gestaltung ihrer Welt und zur Organisation des eigenen Lebens nach den Gesetzen der „göttlichen Geometrie“. Der Ursprung einer auf geometrischen Werten und auf göttlichen Gesetzen basierenden (vermessbaren) Welt wird im Alten Testament im Dialog zwischen Gott und Hiob angesprochen. Gott fragt Hiob: „Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sage mir‘s, wenn du so klug bist! Weißt du, wer ihr das Maß gesetzt hat oder wer über sie die Messschnur gezogen hat?“ (Hiob 38, 4f.)

Seit der Antike spielt die Zahl 24 bei der Errichtung von Gebäuden eine besondere Rolle. Sie galt als die Zahl der großen Harmonie zwischen Himmel und Erde. In der mittelalterlichen kabbalistischen Mystik (Altes Testament) und in der christlichen Bibelexegese (Neues Testament) sowie in der Zahlensymbolik (Numerologie) wird auf eine Vielzahl von religiös-mystischen und mathematisch-geometrischen Bezügen zur Zahl 24 verwiesen (z.B.: 2×12 = 24 steht für die Stämme Israels aus dem Alten Testament sowie für die zwölf Apostel aus dem neuen Testament; das Produkt aller Grundzahlen 1 × 2 × 3 × 4 = 24 ermöglicht die Herstellung eines idealen Maßstabes, der zur Planung und Überprüfung von harmonischen Proportionen an Bauwerken genutzt werden kann).

Die Zahl 24 spielt aber nicht nur bei der Errichtung von Bauwerken, sondern ebenso spielt sie bei der Zeitmessung eine Rolle. Schon die Babylonier teilten den Tag in 24 Stunden. Der zwölfstündige Tag begann mit dem Sonnenaufgang, dauerte bis zum Sonnenuntergang und es folgte eine zwölfstündige Nacht. Sowie bei Streckenmesswerkzeugen eine 24er-Teilung genutzt wurde, so wurde auch die Zeit in 24 gleichlange Bereiche aufgeteilt. Für Teilstrecken wurden feste Abstandsmaße (Zoll, Finger), für Zeitabstände wurden feste Zeitabstände definiert (z.B.: Sonnenuhr — Schattenabstand, Sanduhr — Füllstandsabstand).

Die tägliche Logenzeit des Freimaurers umfasst 18 Stunden. Mit Hilfe des 24-zölligen Maßstabs sollen wir den Tag folgendermaßen einteilen:
6 Stunden sind darauf zu verwenden, die Arbeit am Bau zu verrichten; 6 Stunden, um dem Schöpfer zu dienen; 6 Stunden, um anderen Menschen zu helfen und 6 Stunden zur Erholung (Schlaf).

Die Logenzeit Mittag entspricht 6.00 Uhr; Hochmittag entspricht 12 Uhr Mittag; Mitternacht entspricht 18 Uhr und Hochmitternacht entspricht 24 Uhr der profanen Zeitrechnung.

Diese am 24-zölligen Maßstab orientierte Zeit- und Arbeitseinteilung stellt uns Freimaurern ein Planungs- und Organisationswerkzeug zur Verfügung, um unsere drei Logenpflichten (Zeit der geistigen Symbolbearbeitung; Zeit der Vorbereitung auf den Ewigen Osten; Zeit für die Sorge um die Angehörigen und Wohltätigkeit gegenüber den Mitmenschen) „(an)gemessen“ zu erfüllen. Die Logenpflichten müssen zwar nicht dem profanen Zeitumfang entsprechen, sie sollten aber alle immer Gesamtinhalt des freimaurerischen Tages und des freimaurerischen Lebens sein.

Für uns spekulative Freimaurer liegt die besondere Bedeutung des 24-zölligen Maßstabes darin, dass wir uns mit ihm durch eine „weise Tages- und Lebenszeitplanung“ auf unsere Zukunft vorbereiten können. Für uns Menschen gilt, dass wir stets im Spannungsfeld zwischen der nicht mehr beeinflussbaren Vergangenheit und der vor uns liegenden noch unbeeinflussten Zukunft existieren. In unserer Realität (an unserem Existenzpunkt) besitzen wir Menschen die Möglichkeit, durch bewusste Entscheidungen auf die Zukunft, bzw. auf unser zukünftiges Verhalten Einfluss nehmen zu können. Als Freimaurer sollen wir bei den Entscheidungen über unser zukünftiges Verhalten den 24-zölligen Maßstab anlegen, um in „(an)gemessener“ Weise einerseits unserer profanen Arbeit nachzugehen, andererseits alle humanen und brüderlichen Aufgaben zu erledigen und schließlich unseren freimaurerischen Pflichten gegenüber dem ABaW nachzukommen.

Unsere „weise Tages- und Lebensplanung“ dient letztlich der Vorbereitung auf den Übergang in die transzendente Existenz im Ewigen Osten. Dieser Übergang vom Irdischen in den Bereich der Transzendenz ist auf unserem Arbeitsteppich durch die Position des 24-zölligen Maßstabes angedeutet. Er liegt als Hindernis quer auf dem (durch den Arbeitsteppich symbolisierten) Lebensweg der Freimaurer. Erst, wenn es uns Freimaurern (als lebenslange Lehrlinge) gelingt, den Maßstab zu beherrschen und ihn zu überschreiten, können wir auf unserem freimaurerischen Lebensweg in den Bereich der Transzendenz gelangen. Nur durch die Überschreitung des 24-zölligen Maßstabes (Überwindung der Begrenzung des Menschen durch die Zeit) können wir mit den Symbolen der Transzendenz (Sonne, Mond, Flammender Stern, dreimal drei Sterne, Lemniskate) die Voraussetzungen schaffen, um das Universum, die Sphäre des zeitlosen, unendlichen und unmessbaren Geistes, zu erahnen. Unser freimaurerischer Zeitpunkt Hochmitternacht lässt sich vordergründig als Zeitpunkt der abgeschlossenen täglichen Logenarbeit verstehen. Seine eigentliche Symbolik liegt jedoch darin, dass er, als Endpunkt des 24-zölligen Maßstabes, auf den Übergangspunkt des Lebens in den Tod bzw. auf den Übergang von unserem irdischen Leben in den transzendenten Raum der Zeitlosigkeit (Ewigkeit) verweist (A und Ω; Anfang und Ende)

Welche Frage könnte ich mir stellen?

Welcher Zusammenhang besteht zwischen den göttlichen Elementen der Geometrie (Punkt, Strecke, Fläche, Raum) und der Zeit?

Denkanstoß: Eine Strecke ist die kürzeste Verbindung zweier Punkte. Durch mindestens zwei Strecken lässt sich eine Fläche erstellen (Höhe, Breite). Mindestens vier Flächen sind die Bauelemente eines Raumes (Höhe, Breite, Tiefe). Zeit wird definiert als Bewegung im Raum. Ohne Punkte, Strecken, Flächen und Räume kann es keine Zeit geben. Ohne die Zeit gäbe es keine begrenzte menschliche Existenz (=Bewegung von Materie/Körper im Raum zwischen den Raumkoordinaten Vergangenheit und Zukunft).

Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 4-2022 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.