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Freimaurerische Symbolik kommt aus der Welt des Bauens und ruht auf den symbolischen Pfeilern von Weisheit und Stärke, also Planung und Ausführung, und dem dritten Pfeiler – der Schönheit, die wir gern der Kunst zurechnen, weil diese den Bau ziert und vollendet.
Von Jens Oberheide
Was die Kunst macht, dieser kreative Akt der Gestaltung, ist symbolisch sehr eindringlich aufs Leben zu übertragen. Man könnte sagen: Jeder gibt seinem Leben individuell Form und Inhalt, so wie der Künstler seinem Kunstwerk individuell Form und Inhalt gibt. So wird jede Persönlichkeit unverwechselbar und jedes Kunstwerk ein Unikat. Das funktioniert freilich nur, wenn man das Leben annimmt, die Dinge anpackt und etwas Gutes, Sinnvolles daraus macht.
Freimaurerische Symbolsprache geht von Sehbildern aus, die für uns zu Denkbildern werden sollen. Das ist auch das angestammte Feld für den Künstler, nämlich über das Sehen zum Denken anzuleiten und Abbildliches zu hinterfragen. Es ist oft der Künstler, der uns lehrt, die Welt zu sehen. Das Übersetzbare von Kunst in die Kunst, recht zu leben, wird deutlich, wenn man mal einige Gedanken an Doppelsinniges aus diesen Welten weiterdenkt.
Beispiele: Es ist uns bewusst, dass sich der Rechte Winkel in rechtes Denken und Tun übersetzen lässt. Der Wert „Ge-recht-igkeit“ steckt darin. Auch das Prinzip der Winkelwaage ist prägnant. Es umschreibt etwas Ausgleichendes. Es kennzeichnet den Baugrund. Wir denken uns dahinter die gleiche Ebene aller, auf der wir uns begegnen.
Ich will mich nicht in Zahlenspielereien verlieren, aber andeuten, wie sehr man auch hier künstlerische und menschliche Dimensionen miteinander verknüpfen kann. Zahlen, Maßverhältnisse, Konstruktionsprinzipien gehören zur Harmonie der Gesetzmäßigkeiten. Die Ordnung, die man in sein eigenes Leben bringt, hat umsetzbare Grundprinzipien. Die Zahl Sieben. Der Maler weiß ebenso wie der Naturwissenschaftler, dass der Regenbogen sieben Farben hat. Das schöne Naturschauspiel einfach nur zu sehen, es wahrzunehmen, bedeutet individuelles Erleben, wie das Sehen eines Kunstwerks, oder wie die Übersetzung eines freimaurerischen Symbols. Die Zahl Drei. Sie gehört zum Bau ebenso wie zur Kompositionslehre der Musik. Drei Akkorde: Oktave, Quinte und Terz. Die Übersetzung der Zahl Drei in die Kunst zu leben, führt über die Drei-Einheit von Körper, Geist und Seele. Aller guten Dinge sind drei, sagt das Sprichwort.
Auch die Farbsymbolik macht deutlich, wie man anschaulich übersetzen kann. Blau ist die Symbolfarbe des Himmels und steht im übertragenen Sinn für Beständigkeit, Verlässlichkeit und Harmonie. Die „Blaue Loge“ sollte diesem Gedanken entsprechen. Weiß ist die Farbe der Reinheit und des Lichts. Wenn wir weiße Handschuhe tragen, dann ist das wie ein symbolisches Versprechen, das, was wir tun, „rein“, sauber und anständig zu machen.
Alles, was der Künstler vom Abbildlichen der Welt, der Natur und der Dinge in die Schönen Künste verwandelt, lässt sich von den Chiffren der Schönen Künste auch ins Leben zurückübersetzen. In unserem Fall dient solche Rückübersetzung der alles verbindenden Idee. Freimaurerei ist die Idee des sinnvollen Bauens und Gestaltens von Zeit und Raum. Das heißt: wir übersetzen aus dem praktischen Bau einen geistigen Bau. Vereinfacht: Wir denken uns unsere Freimaurerei als eine Übersetzung von Baukunst in Lebenskunst.
Dieser freimaurerische Grundkonsens des deutbaren Baugedankens berührt zudem eine Kulturphilosophie, die seit der Aufklärung sowohl als Pflege von Kunst und Wissenschaft, als auch als „Veredlung“ der Lebenshaltung, ja, als „Versittlichung“ gilt. Unser Freimaurerbruder Herder kennzeichnet diese „Veredlung“ und „Versittlichung“ mit der „Höheren Natur des Menschen“ und sieht in der Entfaltung von Humanität das Ideal aller Bildung und Erziehung.
Zur Humanität gehört die Verantwortung des Menschen für die Zustände des Daseins und das Vertrauen darauf, dass er diese Zustände auch verändern kann. Dieser aktive Ansatz meint jenes „sinnvolle Bauen und Gestalten von Zeit und Raum“ – nämlich das freie, selbstbestimmte und selbstverantwortliche Denken und Handeln. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass das Bauen Ausdruck eines Gestaltungswillens ist. Schon jeder profane Hausbau, und sei er noch so schlicht, zeigt durch die Raumverteilung „eine bestimmte Ordnung, die das Leben regelt“ (Brockhaus Enzyklopädie). Das Entscheidende ist: Der Bauherr bestimmt selbst, wie er das regeln möchte. Dieses „Selbst bestimmen“ sollte eigentlich auch auf die Ausgestaltung des eigenen Lebens anwendbar sein. Man kann zumindest das Symbol des Bauens so auslegen.
Ich habe dich (Mensch) mitten in die Welt gesetzt, damit du umso leichter erblicken mögest, was dein ist. Weder zum irdischen noch zum himmlischen, weder zum sterblichen noch zum unsterblichen Wesen habe ich dich erschaffen, sodass du, dein eigener Bildhauer, dir selbst deine Züge meißeln kannst…
Die frühen Baumeister in den mittelalterlichen Bauhütten pflegten ein fachliches und menschliches Miteinander aller. Sie dienten dem großen Ganzen. Ihr Bauen entsprach der Interpretation von Bleiben und Dauern. Sie bauten für die Ewigkeit. Auch, wenn ihr Bau innerhalb ihres eigenen Lebens noch nicht fertig wurde. Wir Freimaurer wissen, dass auch wir das Richtfest unseres (imaginären) großen Baus nicht erleben. Aber als Idealisten bauen wir trotzdem.
Wenn ich die mittelalterlichen Bauhütten mit ihren übersetzbaren Denkgebäuden anspreche, muss ich parallel dazu auch etwas zum Schulterschluss der Schönen Künste sagen. Der Aufbruch in ein neues Selbstverständnis der Kunst – und des Menschen! – zeigt sich in einer Aussage von Pico della Mirandola, der im 15. Jahrhundert in Florenz gelebt und gewirkt hat. Ich mag sein – selbstbewusst symbolisch Gott zitierendes – Gedankenspiel: „Ich habe dich (Mensch) mitten in die Welt gesetzt, damit du umso leichter erblicken mögest, was dein ist. Weder zum irdischen noch zum himmlischen, weder zum sterblichen noch zum unsterblichen Wesen habe ich dich erschaffen, sodass du, dein eigener Bildhauer, dir selbst deine Züge meißeln kannst…“ (zitiert aus „Schriften“, übersetzt von Liebert 1905).
Dieser frühe Vorgriff auf die Aufklärung bekennt sich sehr deutlich zur Selbstbestimmung des Menschen, der sich aus dem rauen, ungefügten Stein – wie ein Bildhauer – seine eigene Kontur herausmeißeln kann. Das lässt sich übertragen: Nicht schicksalsergeben abwarten, sondern selber gestalten, selber eingreifen ins Geschehen, selbst den rauen Stein bearbeiten. Selber bauen und gestalten im tieferen Sinn. Von der Ausübung der Kunst, des Handwerks, der Fertigkeit, kommt man auf diese Weise zum Denken von Kunst und zum Gestalten von Leben, Zeit und Raum, Innen- und Außenwelten.
Freimaurerei will in Bildern vom Bauen anschaulich machen, was begrifflich manchmal schwer fassbar ist. Dabei versucht sie, das Streben nach Wissen mit der Bereicherung der Seele zu verbinden. Der englische Philosoph und frühe Aufklärer Anthony Shaftesbury (1621-1683) prägt in diesem Zusammenhang die „trinitas in unitate“, die „einige Dreieinigkeit“ von Weisheit, Stärke und Schönheit. Dies sei gewissermaßen das „letzte Ziel“ der Architektur, was der Freimaurer Anderson Anfang des 18. Jahrhunderts aufgreift, um von der „Harmonie des geistigen Menschen, seines Verstandes und seines Gemüts“ zu sprechen. Das meint für uns: Die Weisheit, die den Bau erdenkt, plant und leitet, den inneren wie den äußeren. Die Stärke, die ihn ausführt, Kraft und Wille nämlich, am Bau wie an sich selbst zu arbeiten, und die Schönheit, die ihn ziert und vollendet. Die Harmonie des Gesamtkunstwerks „Bau“ und „Leben“.
In dieser symbolischen Verknüpfung steckt der Lebensentwurf des mündigen Menschen. Sinnsuche. Gestaltungswille. Harmonie. Aufgabe der Kunst und des Künstlers, sagt J.G. Fichte, ist die Verwirklichung des absoluten Ich. Sozusagen eine freimaurerische Zielprojektion. Der französische Schriftsteller Lenient („De la satire au Moyen-Age“, 1859) sagt das so: „Die in die Geheimnisse des Großen Werkes eingeweihten Freimaurer waren zugleich auch freie Denker, zweifellos Männer des Glaubens, aber eines weiträumigen, unabhängigen Glaubens, wie der des Künstlers, der weniger am Buchstaben hängt, als am Geist.“
Am Anfang aller Künste steht die Baukunst. Am Anfang der symbolischen Freimaurerei steht der Gedanke von der Freiheit des Geistes und der Eigenverantwortlichkeit des Menschen. Die Historie kennt eine Parallelbewegung zur Kunst. Freimaurerei äußerte ihren Freiheitsgedanken zeitgleich mit den Künstlern der Zeit, die versuchten, sich aus ihren Abhängigkeiten und Unmündigkeiten zu befreien. Die Geschichte nennt diesen Selbstbefreiungsprozess rückwirkend „Aufklärung“.
Vor dem Hintergrund der Aufklärung im 17./18. Jahrhundert hat die Freimaurerei den Gedanken der alten Baukünste mit dem der menschlichen Vernunft, Fantasie und Mündigkeit zusammengezogen. Entstanden ist ein eigenständiges Gebilde von Form und Inhalt. Ein Brückenschlag von der Baukunst zur Lebenskunst, der in diesem Zeitumfeld besonders glückliche Umstände vorfand, um revolutionäre Aufbruch-Ideen mit romantischen Idealen zu verbinden. In den Bildenden Künsten der damaligen Zeit sieht man erstmals solche Symbiosen. Aus dem Zusammenspiel der Kräfte waren damals bereits prachtvolle Bauwerke entstanden. Was der operative Baukünstler beherrschte, z.B. Gewölbe mit Quadersteinen errichten, den Umgang mit den freien Steinen, den Schmucksteinen des architektonischen Bogens, die so passen mussten, dass sie einander stützen und halten konnten, das war noch praktische Kunst und praktisches Können.
Was der Freimaurer dann beherrschen lernen sollte, erschließt sich aus der Bausymbolik.
Das Brückenbauen, das gegenseitige Stützen und Halten, das Himmelwärts streben, das Überbrücken von Trennendem, die Begegnung auf der Winkelwaage, der gleichen Ebene aller, der Umgang mit, wie es in einem alten Steinmetzbuch heißt, „des Zirkels Kunst und Gerechtigkeit“, das Anlegen des Rechten Winkels für das rechte Denken, Handeln und Wandeln. „Zum Beginnen, zum Vollenden: Zirkel, Blei und Winkelwaage“, wie Goethe sagt. Das Streben nach Ordnung, nach Festigkeit und Verlässlichkeit und nach dem Ausdruck von Harmonie und Schönheit. „Moral sense“, sagt der schon zitierte Shaftesbury: „Moralischer Sinn“.
Es stünde uns gut an, wenn solche Gedanken aus der Welt des Bauens und der Welt der Schönen Künste umdenkbar, übersetzbar und übertragbar blieben auf die „Großbaustelle Freimaurerei“ unserer Innen- und Außenwelten.