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Hell und Dunkel: Freimaurerei im Mosaik der Mythen

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Seitdem es die „moderne“ Freimaurerei gibt, seitdem Logen existieren, die nicht mehr Organisationen des Bauhandwerks sind, sondern moralisch orientierte Vereinigungen, die zur Vermittlung ihrer Ideen, religiösen Überzeugungen und sozialen Formen Symbole und Rituale verwenden, und das heißt wiederum seit der schottischen Freimaurerei des frühen 17. Jahrhunderts, solange gibt es einerseits helle und freundliche Mythen der Freimaurerei, so lange gibt es aber auch Gegner, Verurteilungen und Verbote, gibt es Verfälscher und Verleumder der Freimaurerei, gibt es gegen die Freimaurerei gerichtete Mythen, gibt es Bilderwelten, in denen die Freimaurerei in dunklen und bedrohlichen Farben erscheint.

Von Hans-Hermann Höhmann

Doch sprechen wir zunächst von den freundlichen Mythen, von den Bilderwelten, die innerhalb der Freimaurerei selbst entstanden sind, und die sich oft zu freimaurerischen Gründungs- und Begründungsmythen verdichtet haben. Sie entstanden oder wurden geschaffen, um Ehrwürdigkeit, Ansehen und Legitimität des weltweiten Bruderbundes zu betonen und zu steigern.

Als ich im Oktober 2010 auf einer Veranstaltung der Freimaurerlogen Hannovers im dortigen historischen Museum zum gleichen Gegenstand wie heute sprach, zeigte das Einladungs-Plakat der Veranstaltung einen solchen Gründungsmythos der Freimaurerei: Es präsentierte George Washington bei der Grundsteinlegung des Capitols in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten, als Freimaurer gekleidet, und es verband mit der Darstellung dieser Szene gleich zwei Mythen miteinander:

den Gründungsmythos der USA und ihrer Hauptstadt Washington und

den Bedeutungsmythos der amerikanischen Freimaurerei.

Die Botschaft dieses „Doppelmythos“ ist klar: Wir können stolz sein auf dieses Land, und wir können stolz sein auf diesen Bund, der die Verfassungsgeschichte des Landes so nachhaltig geprägt hat.

Historische Perspektiven

Wenn man so will, begann ja die ganze Geschichte der Freimaurerei sechzig Jahre vor Washington mit der Propagierung eines Gründungsmythos. 1717 wurde die Großloge von London und Westminster gegründet, die erste institutionalisierte Großloge der Welt. 1723 wurde die erste Satzungsurkunde veröffentlicht, die sog. Andersonschen Konstitutionen, auch bei uns unter dem Begriff „Alte Pflichten“ allen Freimaurern bekannt. Ihr Verfasser, James Anderson, hatte dazu Prinzipien formuliert, die bis heute die Wertauffassungen der Freimaurer zum Ausdruck bringen:

Der Freimaurer ist dem Sittengesetz verpflichtet;

die Menschen in den Logen sollen gut und redlich sein;

und der Bund der Maurer soll Männer in Freundschaft zusammenbringen, die sich sonst nie begegnet wären.

Doch Anderson lässt es nicht bei Werten und Prinzipien. Er fügt eine Chronik der Baukunst hinzu, in der wortwörtlich zu lesen ist:

Adam unser Vater, geschaffen nach dem Bilde Gottes, des großen Baumeisters der Welt, muss die freien Künste, insbesondere die Geometrie, in seinem Herzen getragen haben, denn er lehrte sie seine Söhne, und die Familien beider betätigten sich als Bauleute, bis Noah die Arche baute, die sicherlich nach den Gesetzen der Baukunst errichtet war, und so retteten Noah und seine drei Söhne Kenntnisse der Baukunst in die neue Welt.

James Anderson

Warum ein solcher Gründungsmythos? Warum eine so fragwürdige Herkunftserzählung?

Nun: eine Bauhütte, die Kathedralen baut, die „operativ“ ist und dies von Jahrhundert zu Jahrhundert, braucht keine Begründung, ihr Bauen versteht sich aus sich selbst heraus, quasi von allein. Doch eine moralische Werkstatt, eine spirituelle Institution, die neu ist – wie die Freimaurerei zu Beginn des 18. Jahrhunderts – und die sich durchsetzen will in der üppig sprießenden Welt der geselligen Assoziationen in London, die braucht vor allen Dingen eines: die Reputation eben nicht neu, sondern uralt zu sein – und darum also die Formel: „Adam unser Vater, geschaffen nach dem Bilde Gottes, des großen Baumeisters der Welt, muss die freien Künste, insbesondere die Geometrie, in seinem Herzen getragen haben…“.

Dieser Mythos hat Schule gemacht: Der englische Freimaurer-Historiker John Hamill, hat eine ganz Schule von Geschichtsdeutern identifiziert – er nennt sie die im Unterschied zur authentisch-wissenschaftlichen Schule die „romantische“ Schule der freimaurerischen Vergangenheitserklärung –, deren Vertreter es immer wieder versucht haben, die Freimaurerei historisch vom Alten und vom ganz Alten herzuleiten, von den Mysterienbünden des Altertums, von den Ägyptern, von alten griechischen Philophenschulen, von Esoterik und Hermetik der Renaissance, von den Tempelrittern usw. und so fort. Derartige Versuche sind gescheitert, allerdings haben die Freimaurer später immer wieder Elemente der genannten fernen Vergangenheiten in ihre Rituale aufgenommen.

Wenn wir die Mythen systematisieren wollen, um die herum sich die Freimaurerei in den vergangenen Jahrhunderten entwickelt hat, so stoßen wir auf drei Erzählstränge, die sich zwar oft vermischt haben, die sich aber trotzdem voneinander unterscheiden, ja, sich widersprechen können:

die hermetisch-esoterischen Erzählungen von uralter Weisheit und geheimnisvollen symbolischen Codes, mit denen Gott das Wissen der Welt verschlüsselt hat;

die gnostisch-christlichen Erzählungen von der Nachfolge Jesu, des Obermeisters des Freimaurerordens sowie

die humanistisch-aufklärerischen Erzählungen vom Menschen und seinen moralischen Pflichten im hier und jetzt.

Im Sinne der humanistisch-aufklärerischen Erzählungen hat auch Gotthold Ephraim Lessing, der in meiner Sicht wichtigste Vordenker der Freimaurerei in Deutschland, in seiner Schrift „Ernst und Falk. Gespräche für Freimäurer“ von 1778 einen eigenen „Gründungsmythos“ propagiert. Er mochte Andersons Geschichte nicht, nannte dessen Chronik eine „kahle Rhapsodie“ und schuf dann die Erzählung vom Tafelgespräch der Vorfahren als Ausgang der Freimaurerei, vom Tisch, an dem man gemeinsam saß, wo die Diskurse blühten und „das laut denken mit einem Freunde“ besonders gut gelang.

Und so schuf er den Mythos der Masoney, der masony, der Tischgesellschaft. Und aus dieser Masony wurde für Lessing dann die Masonry, die Freimaurerei. Historisch betrachtet ist dies zwar falsch, doch im Kontext von Lessings Freimaurerkonzept ist es stimmig, denn für ihn war ja der Brückenbau im Gespräch von Mensch zu Mensch ein wesentliches Merkmal der Freimaurerei.

Was daraus für unsere Kenntnis der Freimaurerei folgt, ist, dass die Freimaurer nicht nur die fremden Mythen zu ihrem Bund auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen haben, sondern auch ihre eigenen. Auch wenn ein Mythos Positives transportiert, bedarf er der Hinterfragung, und die Freimaurer haben allen Grund, behutsam und aufklärerisch umzugehen mit den in ihren eigenen Mythen versteckten Erklärungsversuchen, aber eben auch Irreführungen über ihren Bund. Bei aller Vorsicht beim Umgang mit den positiven Mythen in Bezug auf sich selbst haben sie sich aber vor allem vor den verzerrten Projektionen und Fokussierungen zu schützen, die sie in aggressiver Absicht von außen erreichen, d.h., den dunklen Mythen, die ihnen immer wieder wie Fangnetze übergestülpt werden sollen.

Dunkle Mythen und ihr Hintergrund

Wir können an dieser Stelle nicht alle Varianten der Anti-Freimaurerei abarbeiten, aber doch wenigstens ihre Haupttypen bestimmen. Meines Erachtens sind dabei sechs Gruppierungen deutlich zu unterscheiden. Ich nenne sie kurz, um die wichtigsten von ihnen später ausführlicher zu behandeln:

1.

Die Ablehnung und Verurteilung durch Kirche und Religion;

2.

der „Volksaberglaube“;

3.

die mannigfaltigen politischen Verbote, die die Geschichte der Freimaurerei begleitet haben;

4.

die „schweren Geschosse“ der Verschwörungsideologien, die den Freimaurern oft die Juden, zuweilen auch die Jesuiten als Bundesgenossen zuordnen;

5.

die „modernen“ Vorbehalte, die Freimaurerei sei unmodern, überholt und frauenfeindlich, sei „wahnhaft gesittete Mummerei“, wie der Philosoph Ernst Bloch gesagt hat;

6.

schließlich die Rückkehr des Fantastischen und Mysteriösen in der Postmoderne, die ich als „Dan-Brown-Syndrom“ bezeichne, nach dem Buch des Autors, das die Freimaurerei in ein Szenario obskurer Esoterik versetzt.

Doch vor der Analyse der einzelnen antimaurerischen Mythen ein Blick auf ihre Hintergründe. Warum sind sie so früh entstanden, warum haben sie sich so hartnäckig gehalten?

Ich sehe vor allem drei Gruppen von Gründen für das anhaltende und offenbar nicht zu überwindende Anti-Freimaurer-Syndrom. Meine Stichworte dazu sind:

1.

Geschichte, Struktur und Erfolg der Freimaurerei:
Die Freimaurerei forderte durch ihre Strukturmerkmale: die spezifische Gruppenbildung in den Logen, die Symbole und Rituale und das damit verbundene Geheimnis, die Ideenwelt der Freimaurerei, in der die Beziehung zu Aufklärung und Humanismus eine beträchtliche Rolle spielte, sowie den raschen Expansionsprozess und das große Interesse, dass die Freimaurerei auf sich zog – von Mode des Jahrhunderts hatte der Freimaurer Friedrich der Große gesprochen – schon früh zu Ängsten, Widerständen, Gegnerschaft und aggressiven anti-masonischen Mythen heraus.

2.

Die zahlreichen mit dem Verlauf der Geschichte verbundenen Krisensituationen, die einer Erklärung bedürfen:
Durch den Fokus auf die Freimaurerei (und andere Sündenböcke, insbesondere die Juden) sollen die eigentlichen Ursachen verfälscht und die Verantwortlichen entschuldigt werden: Nationale Katastrophen, wie die Französische Revolution, die Schrumpfung und der Beinahe-Untergang des Kirchenstaats, der Verlust des I. Weltkriegs und der Friedensvertrag von Versailles, heute nine-eleven, Corona und der krisenhaft labile Zustand der Weltpolitik werden nicht auf historische Ursachen oder Fehler der Politik zurückgeführt, sondern auf Verschwörungen, in denen als Lieblingssündenböcke wiederum die Juden und Freimaurer die Hauptrolle spielen.

3.

Die unterschiedliche Struktur der nationalen, kulturellen und gesellschaftlichen Milieus:
In katholischen Ländern und katholischen Milieus hatte sich die Freimaurerei vor allem mit der Gegnerschaft der römisch-katholischen Kirche auseinanderzusetzen, in politisch rechts gerichteten, autoritären und faschistischen Milieus waren es allerlei politische Verschwörungsideologien, gegen die sie sich verteidigen musste.

Verschwörungsideologien gedeihen ja bekanntlich vor allem in Zeiten politischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Krisen, in Perioden der Unübersichtlichkeit, in denen sie ihren Autoren die Chance zu bieten scheinen, die Komplexität der politischen Verhältnisse dadurch zu reduzieren, dass sie Verschwörungen beschreiben, die zur Erklärung zu taugen scheinen, nach dem Motto: Hört auf uns, wir wissen Bescheid!

Typen und Mythen der Anti-Freimaurerei

Und damit komme ich zu den vier wichtigsten Typen und Mythen der Anti-Freimaurerei:

1. Ablehnung und Verurteilung durch Kirche (vor allem die katholische) und Religion

Bereits im Jahre 1698 – 20 Jahre vor Gründung der ersten Großloge – zirkulierte in London ein Pamphlet, in dem (Zitat) „alle frommen Menschen vor den Freimaurern gewarnt werden. Diese seien eine teuflische Sekte, die durch einen Eid der Verschwiegenheit geschützte geheime Zeremonien abhielten und der wahre Antichrist seien.“

Die katholische Kirche – beginnend mit der ersten Verurteilung durch Papst Clemens XII im Jahre 1738 in der Bulle „In eminenti apostolatus specula“ – fürchtete das maurerische Geheimnis, die vorrangige Betonung moralischer Werte, das „Gutsein ohne dezidierten Glauben“ und die esoterische Religiosität der Freimaurer. In den folgenden Jahrzehnten wurde die ablehnende Haltung der katholischen Kirche immer wieder verschärft und neu akzentuiert, bis sie im Jahre 1884 durch Papst Leo XIII mit der Bulle „Humanum genus“, der die Freimaurer gar dem „Reich des Satans“ zuordnete, auf die Spitze getrieben wurde. Die Kernaussage der Bulle lautete:

Nachdem das Menschengeschlecht durch den Neid des Teufels von Gott, dem Schöpfer und dem Spender der himmlischen Güter, so kläglich abgefallen war, hat es sich in zwei geschiedene und einander entgegengesetzte Lager geteilt: das eine kämpft unausgesetzt für Wahrheit und Tugend, das andere für alles, was der Wahrheit und Tugend widerstreitet. Das eine ist das Reich Gottes auf Erden, das andere ist das Reich des Satans … In der Gegenwart … scheinen sich die Anhänger des Bösen zu verabreden und in ihrer Gesamtheit mit vollen Kräften anzustürmen: geleitet und gestützt von der weitverbreiteten und fest gegliederten Gesellschaft der sogenannten „Freimaurer“. Diese Sekte ist … ihrem ganzen Wesen und ihrer innersten Natur nach Laster und Schande: darum ist es rechtens nicht erlaubt, ihr beizutreten und ihr in irgendeiner Weise Beihilfe zu leisten.

Papst Leo XIII

Wenn auch der Ton der Angriffe im 20. Jahrhundert maßvoller wurde, so ist die Einstellung zur Freimaurerei doch weitgehend ablehnend geblieben. Zwischen Vertretern der katholischen Kirche und der Freimaurerei fanden zwar seit den 1960er Jahren Gespräche und Annäherungen statt, doch machte die „Unvereinbarkeitserklärung“ der deutschen Bischofskonferenz von 1980 die Hoffnung der Freimaurer auf eine Überwindung alter Feindseligkeiten zunichte. Das negative Urteil über die Freimaurer blieb weiterhin bestehen, da deren weltanschauliche Grundlagen mit der Lehre der katholischen Kirche für unvereinbar gehalten werden. Genannt werden dabei der Relativismus, das (vermeintlich) deistische Gottesbild und nicht zuletzt der (ebenfalls vermeintlich) sakramentsähnliche Charakter der Rituale. Im Ergebnis stellte die Glaubenskongregation unter ihrem damaligen Präfekten Kardinal Joseph Ratzinger in einer von Papst Johannes Paul II. bestätigten Erklärung vom 26. November 1983 fest:

Das negative Urteil der Kirche über die freimaurerischen Vereinigungen bleibt also unverändert, weil ihre Prinzipien immer als unvereinbar mit der Lehre der Kirche betrachtet wurden und deshalb der Beitritt zu ihnen verboten bleibt. Die Gläubigen, die freimaurerischen Vereinigungen angehören, befinden sich also im Stand der schweren Sünde und können nicht die heilige Kommunion empfangen.

Kardinal Joseph Ratzinger in einer von Papst Johannes Paul II. bestätigten Erklärung

Trotz dieser „offiziellen“ Verhärtungen zeigen sich in der katholischen Kirche allerdings auch immer wieder Tendenzen, die Einstellung zur Freimaurerei zu verändern. Hinzuweisen ist etwa auf das Wirken von gar nicht so wenigen, der Freimaurerei positiv gegenüberstehenden Theologen wie Herbert Vorgrimmler, Hans Küng und Alois Kehl, dem guten Freund unserer Loge. Besonders aufschlussreich ist weiter die Schrift „Die Freimaurerei und die katholische Kirche“ von Klaus Kottmann, die im Sommersemester 2008 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen wurde und in deren Zusammenfassung es heißt:

Einzelne Katholiken, die Mitglied einer Freimaurerloge sind, wie zahlreiche Logen selbst, verneinen eine (glaubensfeindliche) Ausrichtung ihrer Loge. Viele katholische Freimaurer halten das erlassene Verbot daher für nicht rechtmäßig. Auch sehen sie sich in einer Situation, in der ihnen die Mündigkeit zur eigenen Beurteilung nicht zugestanden wird.
Zu bedenken ist vor diesem Hintergrund, ob hinsichtlich der Bewertung der Freimaurerei seitens der katholischen Kirche nicht die gleichen Argumente Platz greifen könnten, die maßgeblich waren für die Aufhebung des Bücherverbots durch das Dekret der Glaubenskongregation vom 15. November 1966.
Dabei wurde das Bemühen um eine Schärfung des Gewissens der Gläubigen für wichtiger erachtet als der Erlass eines Verbotes. An die Stelle rechtlicher Vorschriften trat das mündige Gewissen der Gläubigen, ohne die Pflicht und Aufgabe der kirchlichen Autoritäten zu desavouieren, auf konkrete Abweichungen von der Glaubens- und Sittenlehre hinzuweisen.

Klaus Kottmann

Hier zeichnet sich zumindest eine Tendenz ab, die sich langfristig im Sinne einer Überwindung bisheriger Barrieren auswirken könnte. Kürzlich fand sich diese Tendenz auch in der Schrift „Loge und Altar. Über die Aussöhnung der katholischen Kirche und regulären Freimaurerei“ des österreichischen Ex-Diplomaten und Priesters Michael Heinrich Weninger. Weninger, Witwer seit 2009, wurde im Juni 2011 von Kardinal Christoph Schönborn in Wien zum Priester geweiht. Seit November 2012 ist er Mitglied des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog. Im Februar 2020 präsentierte Weninger sein 500-seitiges Buch in Wien in Anwesenheit von Georg Semler, dem Großmeister der Großloge von Österreich. Darin traf er eine Reihe von Feststellungen, die Beifall bei den Freimaurern fanden, umgehend aber auch den Widerspruch konservativer Kirchenvertreter herausforderten:

dass die Ablehnung der Kirche gegen die Freimaurerei mehr durch politische als religiöse Gründe motiviert gewesen wäre;

dass die Kirche nicht in der Lage gewesen sei, zwischen regulärer und irregulärer Freimaurerei zu unterscheiden; 

dass die Freimaurer der regulären Freimaurerei nicht exkommuniziert seien;

und dass man daher durchaus Katholik und „regulärer“ Freimaurer sein könne.

Es gibt also Zeichen des Wandels, die die Möglichkeiten sowohl Katholik als auch Freimaurer zu sein, zweifellos erweitern, ohne dass sich freilich die Grundeinstellung maßgeblicher Teile der katholischen Kirche gewandelt hätten Allerdings wäre hierfür wohl auch erforderlich, dass sich die Freimaurerei ihrerseits um die Klärung ihrer Einstellung zu Glaube, Religion und Kirche bemüht, wie dies ja auch von evangelischer Seite erwartet wird.

2. Volksaberglaube

Verbunden mit den Ablehnungen durch Religion und Kirche entwickelte sich seit der Wende zum 19. Jahrhundert ein in der Volksreligiosität verankerter Aberglaube, welcher der Freimaurerei (und insbesondere ihren Ritualen) Dimensionen des Unheimlichen und Dämonischen zuschreibt, wie zum Beispiel: „Bevor ein Freimaurer aufgenommen wird, muss ein anderer sterben“ oder „Aufnahmegesuche sind mit eigenem Blut zu unterzeichnen“. Dieser Aberglaube ist auch heute noch wirksam, wenn er sich auch oft von seiner religiösen Basis entfernt hat, und trägt zumindest unterschwellig zu den düster-diffusen Bildern bei, die sich Außenstehende von der Freimaurerei machen. Ich erzähle in diesem Kontext gern eine von mir selbst erfundene Anekdote: „Wenn die Rotarier oder der Lions-Club eine Reibekuchenbude auf dem Weihnachtsmarkt installieren, kommen die Leute gern zum Essen, wenn die Freimaurer dies tun, heißt es: nee, nee, lieber nicht zugreifen, wer weiß, was die da hineinbacken“!

3. Politische Verbote

Kaum war der Freimaurerbund am Anfang des 18. Jhs. gegründet, kam es zu politisch motivierten Verboten sowohl in den mehrheitlich katholischen Staaten des alten deutschen Reiches (in der Kurpfalz etwa bereits 1737, im Jahr der ersten Logengründung in Deutschland) als auch in primär lutherischen Städten wie Hamburg. Absolutistische und autoritäre politische Systeme fühlten sich durch die freimaurerischen Postulate der sozialen Gleichheit und des Vorrangs der Moral gegenüber der Politik herausgefordert und fürchteten auch die Gefahren, die ihrer Herrschaft von konkurrierenden Eliten drohten, wie sie vor allem die Illuminaten darstellten. Diese Ängste wurden nicht zuletzt durch die Französische Revolution verstärkt, die – nicht selten, wenn auch unbegründeter Weise – dem Wirken der Freimaurerei zugeschrieben wurde, wie nicht zuletzt seitens des französischen Geistlichen Augustin Baruelle.

4. Verschwörungsmythen

Die generellen Verbote der Freimaurerei in den faschistischen Systemen des 20. Jhs. erfolgten im Kontext einer weiteren Verschärfung der Anti-Freimaurerbewegung unter der Einwirkung von Verschwörungsvorstellungen. Für deren meist im extrem rechten Spektrum der Politik angesiedelten Vertreter war und ist der Freimaurerbund nicht nur religionsfeindlich und politisch gefährlich, sondern langfristig und strategisch auf Vernichtung des Glaubens, auf Aushöhlung der gesellschaftlichen Ordnung, ja auf Weltherrschaft angelegt. Dabei wird die Freimaurerei oft in eine Verbindung mit anderen Gruppierungen gerückt, wobei die Behauptung einer jüdisch-freimaurerischen Verschwörung vor allem im Deutschland der Weimarer Republik und bei den Nationalsozialisten eine besonders verhängnisvolle Rolle spielte und auch heutzutage noch lebendig ist.

Aufsehen erregte zunächst das 1919 veröffentlichte Buch des österreichischen Nationalratsabgeordneten Friedrich Wichtl – „Weltmaurerei, Weltrevolution, Weltrepublik. Eine Untersuchung über Ursprung und Endziele des Weltkrieges”–, das gleichsam das Modell weiterer antifreimaurerischer Kampfschriften der folgenden Jahrzehnte darstellte. Bei Wichtl findet sich auch die Auffassung von der „Verwobenheit“ der Freimaurerei mit den Juden, was er vor allem am Beispiel Englands exemplifiziert (Zitat):

Freimaurerei und Judentum sind dort derartig miteinander verwoben, daß ein englischer Schriftsteller alles Ernstes erklärt: Der Freimaurer ist nichts als ein künstlicher Jude … und … die gegenwärtige Lage der Juden in England (werde) am sinnfälligsten dadurch gekennzeichnet …, dass sie die Vorherrschaft in den geheimen Gesellschaften errungen haben, namentlich in der Freimaurerei.

Friedrich Wichtl – „Weltmaurerei, Weltrevolution, Weltrepublik. Eine Untersuchung über Ursprung und Endziele des Weltkrieges”

Mitte der 1920er Jahre erfolgten Erich Ludendorffs massive Angriffe auf die deutsche Freimaurerei, die den Bund sehr erschütterten, weil sich die meist national eingestellten Freimaurer völlig zu Unrecht angegriffen fühlten. „Das Geheimnis der Freimaurerei ist überall der Jude“ heißt es im populärsten Pamphlet des Generals – „Vernichtung der Freimaurerei durch Enthüllung ihrer Geheimnisse“ – von 1927. Die Freimaurer seien – wie es schon bei Wichtl geheißen hatte – „künstliche Juden“, und das Streben nach einem „Menschheitsbund“, nach „Humanität“ und „menschlicher Glückseligkeit“ sei gleichbedeutend mit der „Verjudung“ der Völker und der Errichtung einer jüdischen Weltherrschaft.

Der NS-Ideologe und spätere NSDAP-Reichsleiter Alfred Rosenberg war es dann, der nicht zuletzt durch die von ihm betriebene Popularisierung der sog. „Protokolle der Weisen von Zion“ dafür sorgte, dass die Gegnerschaft zur Freimaurerei in zeitlich wechselndem Ausmaß zum festen Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie geworden war, die der erzwungenen Auflösung der Logen in Deutschland zugrunde lag, die endgültig im Jahre 1935 erfolgte.

Vorher schon hatte es in Hitlers „Mein Kampf“ geheißen:

Zur Stärkung seiner politischen Stellung versucht der Jude, die rassischen und staatsbürgerlichen Schranken einzureißen, die ihn zunächst noch auf Schritt und Tritt beengen. Er kämpft zu diesen Zwecke für die religiöse Toleranz und hat in der ihm vollständig verfallenen Freimaurerei ein vorzügliches Instrument seiner Ziele.

Adolf Hitler – “Mein Kampf”

Dieses Hitler-Zitat leitete den NS-Schulungsbrief gegen die Freimaurerei ein, der durch die neunzehnhundertdreißiger Jahre hindurch in zahlreichen Auflagen erschien.

Die antisemitischen und antifreimaurerischen Verschwörungsideologien sind im Spektrum einer rechten Esoterik auch heute noch lebendig und finden sich etwa bei Autoren wie Jan van Helsing, Guido Grant und Marco Nünemann. So schreibt Nünemann in einem Text zu der von ihm propagierten „Glacial-Kosmogonie“, der ursprünglich auf den Österreicher Hanns Hörbiger zurückgehenden sog. „Welteislehre“:

Der Kampf um die Aufklärung hat eine gegnerische Kraft sichtbar gemacht, deren Stärke bis dahin in der Verborgenheit lag: die Freimaurerei. Überstaatlich und geheim wird sie genannt. Denn ihr Wirken findet seine Schranken nicht an den Grenzen eines Volkes oder Staates, sondern wie ein unheimliches Spinnengewebe zieht sie sich durch alle Völker hindurch und lastet wie ein Albdruck auf allen; und die Gesetze und Ziele für ihr Handeln stammen nicht aus den Lebensgesetzlichkeiten eines Volkes, sondern aus volkloser, ja volksverneinender Haltung.

Marco Nünemann

Auch hier finden sich immer noch oder wieder die fünf Grundzüge jeder “Verschwörungsideologie”:

1.

Bestimmte vergangene, gegenwärtige oder für die Zukunft antizipierte Ereignisse werden als Resultat einer Verschwörung dargestellt.

2.

Die Verschwörung ist ein Anschlag auf das Allgemeinwohl, das Vaterland, die wahren religiösen Überzeugungen und die Wertgrundlagen der Gesellschaft.

3.

Akteure der Verschwörung sind bestimmte Personen, Gruppen oder Organisationen, hier die Freimaurer, doch auch die Juden sind immer noch präsent.

4.

Die Verschwörung kann jedoch von den Guten, den Aufrechten und Auserwählten innerhalb der Gesellschaft entlarvt, bekämpft und besiegt werden.

5.

Die Guten haben eine „neue und plausible Theorie“, die sie in ihrem Handeln leitet. Diese „Theorie“ gilt unbedingt und darf nicht in Zweifel gezogen werden.

Letzte Frage und Schlussbemerkung:

Was tun?

Was können Freimaurer tun, um den antimasonischen Weltbildern zu widerstehen?

1.

Erstens müssen sie die Öffentlichkeit über den Charakter der Verschwörungsmythen und ihre antisemitischen und antimasonischen Hintergründe in aller Deutlichkeit aufklären, wofür sie in ihren Veröffentlichungen, im Internet und in Vorträgen viele Möglichkeiten haben.

2.

Zweitens müssen sie die Prinzipien ihres Bund überzeugend darstellen und in der gesellschaftlichen Praxis umsetzen, um dauerhaft im öffentlichen Bewusstsein zu verankern, was Freimaurerei ist und sein will: Die Vermittlung einer Lebenskunst, die Mitmenschlichkeit und ethische Orientierung in der Gemeinschaft der Loge durch einen offenen und empathischen Umgang miteinander, durch ein „laut denken mit einem Freunde“ und durch eine erprobte rituelle Praxis, durch Symbole und Rituale erfahrbar und erlernbar macht.

3.

Drittens schließlich kommt es für jeden einzelnen Freimaurer darauf an, durch persönliche Integrität und ein entsprechendes Verhalten in der Gesellschaft, die Wahnvorstellungen der Verschwörungsideologen gleichsam abtropfen lassen.

Wir dürfen darauf hoffen, dass sich die Wahrheit über unseren Bund durchsetzt, wenn wir entschieden und redlich für sie eintreten.

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