Von Antje Friedl-Höttler
Gemälde und Grafiken im Deutschen Freimaurermuseum in Bayreuth
Die Gemäldesammlung des Deutschen Freimaurermuseums ist im Besitz eines sehr kostbaren Porträts, das den Stuhlmeister Conrad Müller der Münchner Loge „In Treue fest“ (1898–1903) zeigt und von keinem geringeren als Lovis Corinth gemalt wurde. Zudem bewahrt das Archiv eine Mappe mit sechs Farblithografien freimaurerischen Inhalts aus dessen Spätzeit. Dies gibt Anlass, Lovis Corinth als Künstler und Freimaurer einmal etwas näher zu betrachten.
Vom Impressionismus kommend wurde Lovis Corinth zu einem wichtigen stilübergreifenden Vertreter des Expressionismus bis hin zum Realismus. Wie kaum ein anderer war er ein leidenschaftlicher Maler seiner Zeit, Streiter und Kämpfer zugleich, aktiv in der Münchner und später Führer der Berliner Sezession. In seinem umfänglichen Werk finden sich neben großen religiösen und mythologischen Werken auch Genre- und Landschaftsbilder, zarte Stillleben sowie zahlreiche bedeutende Porträts.
Er wurde 1858 als Franz Heinrich Louis Corinth in Tapiau bei Königsberg in Ostpreußen geboren. Seine Eltern Heinrich und Wilhelmine Corinth betrieben erfolgreich eine Lohgerberei. Schon als Schüler erkannte der Vater sein Talent und ermöglichte ihm 1876 das Studium an der Königsberger Kunstakademie unter dem Genremaler Otto Günther. Vier Jahre später wechselte Corinth an die Münchner Kunstakademie in die Klasse des Landschafts-, Historien- und Genremalers Franz von Defregger und wurde Schüler von Ludwig von Löfftz, wo er solide handwerkliche Grundlagen seiner Kunst erlernte. Als sogenannter Einjährig-Freiwilliger unterbrach er 1883 seine Studien für den Militärdienst und reiste anschließend auf Empfehlung nach Antwerpen zu dem Maler Paul Eugène George, bei dem er die Porträtmalerei intensivierte sowie Rembrandt und Rubens als künstlerische Vorbilder für sich entdeckte. Noch im selben Jahr trat er in die Académie Julian in Paris ein und studierte bei William Adolphe Bouguereau sowie Robert Fleury hauptsächlich Akt- und Figurenmalerei. Im Jahre 1886 kehrte er nach Deutschland zurück. Den Winter 1887/88 verbrachte Corinth in Berlin, begegnete dort dem grafischen Werk von Max Klinger und Karl Stauffer-Bern, immer wissbegierig auf Neues mit der Absicht, sich künstlerisch zu vervollkommnen und unterschiedliche Einflüsse in seiner Kunst einfließen zu lassen. Selbstbewusst nahm er fortan den Künstlernamen Lovis Corinth an.
Als sein Vater 1889 starb, kehrte der Künstler für einige Jahre nach Königsberg zurück, trat das Erbe an, das ihm ein geregeltes Einkommen bescherte und ihm ein relativ sorgloses Künstlerleben ermöglichte. Zur selben Zeit bekam er als Suchender Kontakt mit der dortigen Loge „Immanuel“, in die er als 32-jähriger am 27. März 1890 aufgenommen wurde. Seither beschäftigte er sich intensiv mit der Königlichen Kunst in Wort und Bild. Vor allem nach seiner erneuten Umsiedlung nach München ein Jahr später, wo er zehn Jahre blieb, entstanden einige Bilder von Freimaurern, Gemälde vom Logenleben und Umsetzungen von Ritualen und Zeremonien. Im Jahre 1896 beteiligte sich Corinth mit 17 weiteren Brüdern an der Gründung der Münchner Loge „In Treue fest“, in der er in den Meistergrad erhoben wurde und in deren damaligem Haus in der Gabelsberger Straße er Wohnung und Atelier im 2. Stockwerk bezog. Künstlerisch widmete er sich verstärkt dem Porträt, das eine seiner wesentlichen Stärken ausmachte und ihm viele Auftragsarbeiten einbrachte. Auch seine Selbstporträts, die er zeichnete oder radierte, kamen nicht zu kurz. Jährlich zu seinem Geburtstag fertigte er eines, fast fünfzig an der Zahl.
Einzigartig ist sein imposantes Künstler-Selbstporträt von 1896 „Selbstbildnis mit Skelett“ (Öl auf Leinwand, 68 x 88 cm, Städtische Galerie Lenbachhaus München), das die Verbindung von persönlicher Selbstbespiegelung und aktuellem Zeitgeschehen demonstriert. Dabei zeigt er sich nicht beim Malen, sondern hat sich mit seinem Modell, einem aufgehängten Skelett, vor das Atelierfenster gestellt, das den Blick auf Schwabing freigibt. Mit diesem Ausschnitt seines Arbeitsumfeldes unterstreicht Corinth die Authentizität seiner etwas trotzig wirkenden, männlichen und zugleich künstlerischen Selbstdarstellung, gibt aber eine weitere persönliche Bedeutungsebene frei: Er trägt eine auffallende Kombination von kariertem Hemd ganz in den Farben der Schwabinger Silhouette und schwarzer Krawatte, gemustert mit zwei ineinander verschlungenen Ringen. Diese sind Symbol der Treue und verweisen ebenso wie das Skelett, das die Vergänglichkeit symbolisiert, auf Corinths noch im selben Jahr vollzogene Mitbegründung der Loge „In Treue fest“. Ob die Wahl des Skeletts rein freimaurerischen Gedankenguts war oder auch auf die damals sensationelle Entdeckung der sogenannten Y-Strahlen durch Wilhelm Röntgen an der Würzburger Universität abzielte, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden.
Ein weiteres Bekenntnis zu seiner Loge ist das zwei Jahre später entstandene großformatige Gemälde „Trinkspruch in der Loge In Treue fest“, auch „Die Logenbrüder“ genannt (Öl auf Leinwand, 113 x 162,5 cm, 1898, Städtische Galerie Lenbachhaus München). Zu der Zeit war Corinth dort Zeremonienmeister, ein Amt, das er viele Jahre bekleidete. „…so kann sich diese Vereinigung mit Recht rühmen, daß die Freimaurerei die Menschheit veredelt“, schrieb er einem Freund. Es handelt sich hier um ein Gruppenbildnis in Anlehnung an holländische Schützenstücke des 17. Jahrhunderts. Es sind Porträts und markante Charakterstudien von zwölf Angehörigen der Loge unterschiedlichster Herkunft. In zwei Reihen angeordnet, gruppieren sie sich um den meisterlich dargestellten Versicherungsdirektor und Stuhlmeister Br. Carl Schnürpel, der auf theatralische Weise gerade den Toast ausbringt. Über seinem Haupt tauchen die Initialen der Loge „iTF“ mit dem Hexagramm auf. Das Bild beinhaltet viele freimaurerische Details wie die Rosen als Tafelschmuck, die Kanonen neben den Weinpokalen, dazu die Kerzenleuchter. All das weist Corinth als Kenner der Freimaurerei aus. Er vermachte das Gemälde seiner Loge, die es später aus wirtschaftlichen Gründen an die Stadt München veräußerte.
Bei seinen Porträts begnügte er sich selten mit dem bloßen Kopfbildnis, vielmehr malte er mit Vorliebe Halb- und Dreiviertelfiguren, um auch in den Bewegungen und der Hände das Charakteristische der Persönlichkeit sichtbar zu machen. So auch in dem Bayreuther Porträt Conrad Müllers, das auch als „Logenmeister mit dem Hammer“ betitelt wird, aus dem Jahre 1900 (Öl auf Leinwand, 117 x 90 cm, sig. Lovis Corinth / Deutsches Freimaurermuseum Bayreuth). Dieses großformatige Dreiviertelbildnis zeigt den Versicherungsdirektor Conrad Müller im mittleren Alter als Stuhlmeister frontal mit dem Meisterhammer in der Rechten, den linken Arm angewinkelt in die Hüfte gelegt. Stolz und beinahe pathetisch präsentiert er sich im Frack, mit goldener Taschenuhr, die in der Westentasche verschwindet und mit festem Blick durch seinen Kneifer auf den Maler gerichtet. Der goldene Ring am Ringfinger verrät seinen Status. Er erscheint bereits im Gruppenbildnis leicht ins Profil gedreht in der oberen Reihe als Zweiter von links mit Kneifer. Corinth positioniert den Dargestellten vor einem dunklen Hintergrund, lässt ihn links nur schemenhaft erscheinen, dafür ragt die rechte Hand, fest den Hammer umgreifend heraus und charakterisiert Conrad Müller einzig mit diesem Utensil als Stuhlmeister der Freimaurerloge. Er verzichtet gänzlich auf weitere Symbolik. Ganz in der Manier Rembrandts konzentriert Corinth das Licht auf das Gesicht und spiegelt in meisterlicher Strichführung und in fein angestuften Farbnuancen die Überzeugung und Ernsthaftigkeit Müllers in seiner Funktion wider. Das leuchtend weiße Hemd und der schwarze Frack unterstreichen seine Eleganz und gesellschaftliche Stellung.
So richtig heimisch schien sich Corinth dennoch nicht in München um den Malerfürsten Franz von Lenbach gefühlt zu haben, denn ab 1900 pendelte er, inzwischen weithin bekannt für sein recht ausgelassenes Leben, in der Bohème zwischen München und Berlin, wo er ein Jahr später gänzlich hinzog, ohne seine Loge in München zu verlassen. Hier eröffnete er 1901 im Alter von 43 Jahren eine Malschule für Frauen in seinem Atelier und wurde aktives Mitglied der Berliner Sezession. In dieser Zeit pflegte er auch seine Freundschaft zu Max Liebermann und Gerhart Hauptmann. Seine erste Schülerin war die 23 Jahre jüngere Charlotte Berend. Sie war nicht nur seine jugendliche Muse, sondern wurde zwei Jahre später auch seine Frau, sein spiritueller Partner sowie die Mutter seiner beiden Kinder und hatte als sehr begabte Malerin einen tiefgreifenden Einfluss auf ihn. Das Familienleben stand fortan im Fokus seiner Kunst.
Freimaurerische Symbolik und Rituale tauchen nicht nur in seiner Malerei auf, sondern auch in der Grafik. Die verschiedenen Drucktechniken und die Zeichenkunst interessierten ihn sehr, darin erwarb er sich bereits als junger Künstler außerordentliche Fähigkeiten. Mehrere Illustrationen und Karikaturen veröffentlichte er in Wochenzeitschriften. Gerade in seinem Spätwerk ist eine Mappe von sechs Farblithografien mit dem Titel „Zeremonien“ im Vierfarbendruck hervorzuheben, die 1924, ein Jahr vor seinem Tod, entstanden sind. Erst zu Beginn der Sechzigerjahre sind die bis dahin unbekannt gebliebenen Blätter in New York unter dem Nachlass Corinths entdeckt worden und wurden erstmals 1971 als Reproduktionen vom Bauhütten Verlag, damals in Hamburg ansässig, veröffentlicht. Sie entstanden also aus der Erinnerung heraus, zu einer Zeit, in der Corinth im Logenleben nicht mehr aktiv mitwirkte. Einen Großteil seiner späten Jahre verbrachte der Künstler zurückgezogen mit seiner Familie in Urfeld am Walchensee, wo er sich 1919 ein Landhaus eingerichtet hatte. Nach seinem schweren Schlaganfall im Dezember 1911 mied er die Öffentlichkeit eine Zeit lang. Seither war er linksseitig gelähmt und es war ihm fast ein Jahr nicht möglich gewesen zu malen. Zweifellos bedeuteten dieser Umstand und die folgende lange Zeit der Genesung einen Wendepunkt in seinem Leben sowie in seinem künstlerischen Schaffen. Er kämpfte mit seelischen Depressionen und brachte diese Stimmungsschwankungen in seinen Gemälden und Grafiken auch zum Ausdruck. Viele seiner Bilder wirken seit der Zeit morbid, zeichnen sich durch verschwommene, ineinander übergehende Farben, sich auflösende Formen und schnelle Pinselführung aus. Ein dunklerer Duktus zeigt sich auch in seinen Grafiken, die oftmals düster erscheinen, aber auch von visionärer Kraft sind.
Mit „Zeremonien“ meinte Corinth wohl die Rituale der Freimaurer, denn die Blätter tragen die Titel „Der Suchende“, „Aufnahme in I“, „Aufnahme in III“, „Tafelloge“, „Die Rede“ und „Trauerloge“. Als Zeremonienmeister kannte er den ritualgerechten Ablauf der Logenarbeit, Blatt I und Blatt IV seien hier näher beschrieben. In „Der Suchende“ (Farblithografie, 31,0 x 25,0 cm) skizziert der Künstler in grober, schwarzer und breiter Strichführung die Szene in der Vorbereitungskammer der Loge. Der Neophyt in feierlicher Kleidung, der in der Bruderschaft aufgenommen werden möchte, unterzieht sich einer Prüfung, in der er schriftlich Fragen beantworten muss. Das Skelett rechts neben ihm und der Totenschädel vor ihm sollen den Suchenden auf das Gewicht der Fragen und Antworten hinweisen. Die drei beinahe gesichtslosen Brüder hinter ihm geben sich mit ihren Schurzen, Zylindern und Abzeichen an blauen Bändern als Freimaurer zu erkennen. Sie tragen brennende Kerzen in den Händen und sind im Begriff, das Schriftstück mit den Antworten entgegenzunehmen. Nur die Gesichter, die Bänder und die Flammen sind farblich herausgehoben.
Auch die „Tafelloge“ (Farblithografie, 31,0 x 25,0 cm) wirkt ähnlich schnell bis flüchtig mit Lithokreide skizziert und nur mit akzentuiertem Kolorit. Lediglich wesentliche Details geben Aufschluss über das Geschehen. So hält Corinth hier den Ausschnitt einer Tafelloge fest, in der sieben schemenhaft dargestellte Brüder in festlichem Gewand mit Zylinder und Amtsabzeichen an Bändern an einer weiß gedeckten Tafel sitzen. Ihre Hände umfassen vor ihnen stehende Gläser, gefüllt mit rotem Wein und zu einem Trinkspruch gerichtet. Solches Zusammensein erfolgt ebenfalls in einer feierlich-zeremoniellen Handlung. In der reduzierten Darstellung wird zum einen die Anonymität der Anwesenden gewahrt, gleichzeitig wirken die Handlungen wie eine Abfolge der Rituale. Die übrigen Blätter sind stilistisch ähnlich: Corinth ordnet die genaue Wiedergabe des Motivs seiner ausdrucksstarken Zeichnung mit dichten schwarzen Strichen und nur wenig Kolorit unter. Mit der Schnelligkeit des Mediums und der Transparenz durch Schattierungen wird eine beinahe suggestive Kraft und Spannung erreicht.
Gerade in seinem letzten Lebensjahr stellte Corinth fest: „Ein Neues habe ich gefunden: die wahre Kunst ist Unwirklichkeit üben …“, womit er eine Überzeugung zum Ausdruck brachte, die in den letzten Jahren seines Schaffens herangereift war, besonders in seinem graphischen Werk. Es zeigt sich, dass die Schwarz-Weiß-Technik, mit der er in der Vergangenheit zu einer verbesserten Darstellung der menschlichen Formen gelangt war, ihn über die in den Objekten verkörperte Realität hinaus zur Erforschung der „Unwirklichkeit“ führte. Sie eignet sich im besonderen Maße für die Darstellung des Irrationalen. Seine Kunst wuchs förmlich über die Grenzen hinaus zu neuen, dem Expressionismus verwandten Formen und gilt als wegbereitend für nachfolgende Stilrichtungen, wie etwa dem Tachismus.
Im Juli 1925 nahm Lovis Corinth, bereits durch eine Lungenentzündung gezeichnet an einer Jubiläumsausstellung in Amsterdam mit sechs Gemälden teil und starb schließlich am 17. Juli im Alter von 67 Jahren in Zandvoort. Der Nachwelt vermachte er ein beeindruckendes Dokument deutscher Kunst um 1900.
Ein herzliches Dankeschön an Br. Hernán J. Benítez Jump, MvSt der Loge „In Treue fest“ und an die Städtische Galerie Lenbachhaus in München für die hilfreiche Unterstützung beim Verfassen dieses Beitrages.