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Sind Freimaurer:innen regulär?

© anncapictures – pixabay.com

Von Rainer Gutsche


Von Winkellogen und Logen im Winkel

Die Antwort darauf ist ein klares Nein. Aber Vorsicht, keine vorschnellen Schlüsse ziehen!

Ich bitte unsere Schwestern zunächst um Nachsicht, dass ich ihr Beispiel wieder einmal bemühe, um ein Problem innerhalb der Freimaurerei zu illustrieren, das nur zu einem kleinen Teil mit dem Geschlecht der Freimaurer zu tun hat. Aber es ist so schön anschaulich, und die Betrachtung der Schwestern öffnet den Brüdern die Augen – besonders auf die Probleme in ihren eigenen Reihen. Und ich werde im Folgenden auch ausschließlich von Freimaurern sprechen, ohne geschlechtssprachliche Verrenkungen oder gar totale Entgleisungen wie „Mitglieder:innen von Freimaurer:innen:logen“. Trotzdem gilt mein Dank der gendergerechten Sprache, sie hat mir eine schöne Überschrift ermöglicht.

Des Weiteren muss ich darauf hinweisen, dass die Unterscheidung nach dem Geschlecht nur eines von vielen möglichen Beispielen ist, genauso gut hätte ich Freimaurer jüdischen und christlichen Glaubens oder schwarzer und weißer Hautfarbe wählen können.
Nach dieser leicht satirischen Einleitung möchte ich mich dem Problem nun erst einmal auf ganz abstrakter Ebene nähern.

Der Freimaurer

Fangen wir mit den Freimaurern an. Zunächst ist der Freimaurer wohl ein Mensch, der auf der Basis unserer fünf Grundwerte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität ständig an sich arbeitet, um sich zu erkennen und zu verbessern. Ziel ist aber nicht nur die persönliche Vervollkommnung, sondern in der Folge auch die Wirkung dieser auf seine Umwelt.

Da der Mensch ein gesellschaftliches Lebewesen ist, ist er bestrebt, auch diese Arbeit an sich selbst in einer Gemeinschaft durchzuführen. Deshalb organisieren sich die Freimaurer in Logen. Die Mitglieder dieser Logen geben sich ein Statut, regeln ihre Zusammenkünfte, das Ritual, die Aufnahmeprozedur für neue Mitglieder usw. Dabei gehen sie — ihren Grundprinzipien folgend — demokratisch vor.

Für die Arbeit an sich selbst haben die Freimaurer ganz bestimmte Methoden. Kern davon sind das Ritual und die darin verwendeten Symbole. Und selbstverständlich ist der Mensch erst ein wahrer Freimaurer, wenn er die Initiation hinter sich hat, also durch eine existierende Freimaurerloge in den Bund der Freimaurer aufgenommen worden ist. (Nebenbei bemerkt ist das jedoch kein Ausschlusskriterium, sonst hätte sich niemals eine erste Loge gründen können.)
Damit sind wohl die Wesenszüge der Freimaurerei erst einmal grob umrissen.

Die Loge

In der Praxis der Logen hat sich nun herausgestellt, dass die Harmonie zwischen den Freimaurern eine nicht zu unterschätzende Grundlage für das Gelingen ihrer gemeinsamen Bemühungen um Selbsterkenntnis und Verbesserung ist und auch das Ritual ohne diese Harmonie nicht so richtig funktioniert. Deshalb definieren die Logen weitere Kriterien für die Aufnahme von Freimaurern in ihre Reihen. Sie artikulieren zum Beispiel Anforderungen an die Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen, an die Weltanschauung oder das Geschlecht und schließen alle Menschen, die diese Kriterien nicht erfüllen, vom Eintritt in die Loge aus. Dabei gilt der Ausschluss für den Beitritt zur Loge genauso wie für die besuchsweise Teilnahme am Ritual.

Ich möchte hier explizit darauf hinweisen, dass diese Vorgehensweise legitim ist und den freimaurerischen Grundprinzipien in keiner Weise widerspricht. Einerseits hat die Loge die Freiheit zu entscheiden, wer eingelassen wird. Störende — egal aus welchem Grund — bleiben draußen. Andererseits hat auch der Suchende die Freiheit, sich diejenige Loge auszuwählen, in der er sich am besten aufgehoben fühlt. Und falls es eine solche Loge nicht geben sollte, kann er sie sogar (natürlich nicht allein) neu gründen. Da Letzteres ziemlich beschwerlich ist, bieten zum Beispiel einige Männerlogen den Frauenlogen vielfältige Hilfe an.

Die Großloge

Es gibt also einerseits die universellen Wesenszüge der Freimaurerei und andererseits eine Anzahl verschiedener Ausprägungen, die dazu führen, dass Logen untereinander inkompatibel sind. So gesehen klingt das wie das große Chaos. Das wäre es auch, wenn es keine Großlogen gäbe. Diese vereinen unter ihrem Dach eine Vielzahl von Freimaurerlogen gleicher Ausprägung. Und diese Großlogen sind es auch, die entscheiden, ob sie zueinander kompatibel sind.

Wenn nun ein Fremder, der vorgibt, ein Freimaurer zu sein, an die Loge anklopft, sollte er sich zunächst mit den extra dafür existierenden Erkennungszeichen als Freimaurer ausweisen können. Daneben werden die Logenmitglieder weitere Dinge abfragen, um feststellen zu können, ob der Besuchende tatsächlich Freimaurer ist und die Harmonie der Loge nicht stören wird. Die Mitgliedschaft in einer als kompatibel anerkannten Loge erleichtert diese Prüfung dabei als eine Art Bonus ungemein.

Bis hierhin war es vielleicht etwas trocken, aber sicherlich noch einfach und übersichtlich. Ab jetzt wird es schwierig, denn wir untersuchen den Begriff der Regularität. Dieser umfasst acht Kriterien, welche die UGLE für die Anerkennung von anderen Großlogen als regulär heranzieht. In Bezug auf die Freimaurer fordert die aktuelle Fassung hauptsächlich, dass diese männlichen Geschlechts und mindestens deistischer Weltanschauung sein müssen. Die anderen Kriterien betreffen ausschließlich die Logen.

Die Regularität

Was folgt daraus? Ganz offensichtlich folgt daraus zunächst die Tatsache, dass irreguläre Logen nicht alle Kriterien der UGLE erfüllen. Auch wenn das Wort irregulär abwertend konnotiert ist, können Logen ohne den Zwang zu Männlichkeit oder deistischer Weltanschauung durchaus vollwertige Freimaurerlogen sein, nur werden sie eben von der UGLE nicht als regulär anerkannt. Davon gibt es, wie wir wissen, eine ganze Menge.

Zweitens ist die Regularität eine Eigenschaft der Logen und Großlogen. Wenn wir den Begriff der Regularität unreflektiert auf deren Mitglieder, also auf Freimaurer, übertragen, machen wir einen schwerwiegenden methodologischen Fehler. Freimaurer an sich sind weder regulär noch irregulär — auch wenn sie zwingend Mitglied einer regulären oder irregulären Loge sind. Wenn wir uns das verinnerlichen, verstehen wir auch sofort, dass die Titulierung eines Freimaurers als „irregulär“ von diesem oft als diskriminierend empfunden wird. Denn der sieht sich ganz zu Recht als vollwertiger Freimaurer und hat sich mit der Irregularität seiner Loge längst arrangiert. Und auch das Mitglied einer regulären Loge ist eben selbst nicht regulär, wie bereits eingangs erwähnt.
Dazu zwei Hinweise: In der Alltagssprache verwenden wir mitunter den Begriff des irregulären Maurers, wenn wir ein Mitglied einer irregulären Loge meinen. Wir sprechen aber auch von Winkellogen, und meinen damit überhaupt nicht diejenigen Logen, die dem Symbol des Winkels eine höhere Bedeutung beimessen als wir. Eine klare Sprache nicht nur im Kontakt mit betroffenen Freimaurern kann Irritationen vermeiden helfen.

Der zweite Hinweis: Bei genauer Betrachtung kann man feststellen, dass die Regularität zweier Logen nicht zwangsläufig deren gegenseitige Kompatibilität bedingt. Eine diesbezügliche Erörterung ginge hier allerdings zu weit.
Selbstverständlich werden zueinander inkompatible Logen keine gemeinsamen Rituale abhalten. — Allerdings, wenn man es recht bedenkt, was spräche gegen ein gesondertes ökumenisch-freimaurerisches Ritual aller Obödienzen?

Die Besucher

Viele meist fruchtlose Diskussionen könnten vermieden werden, wenn wir als A.F.u.A.M. zunächst einmal eine Art Positivliste führen würden, auf der diejenigen irregulären Großlogen verzeichnet sind, die wir — ich vermeide bewusst das Wort trotzdem — als echte Freimaurerlogen ansehen.

Das ist aber noch nicht alles. Unter dem Deckmantel der Regularität haben sich offensichtlich auch Dinge eingeschlichen, die direkt unseren fünf Grundwerten widersprechen. Dazu zwei Beispiele aus unserer eigenen Großloge A.F.u.A.M.:

Wir haben in unsere Loge — wenn wir alles richtig gemacht haben — nur freie Männer von gutem Ruf aufgenommen. Innerhalb unserer Loge haben wir Regeln, die streng beachtet werden müssen. Wenn der Bruder nach dem Ritual aber unsere Loge verlässt, fordern wir ihn auf, sich als Freimaurer zu bewähren. Dort — in der Welt — war er vor dem Eintritt in unsere Loge ein freier Mann von gutem Ruf. Nun aber versuchen wir, ihm ein Stück seiner Freiheit zu nehmen, indem wir ihm kategorisch verbieten, eine irreguläre Freimaurerloge zu besuchen. Dieses generelle Verbot widerspricht ganz klar unseren fünf Grundprinzipien und ist damit unfreimaurerisch. Ist der Bruder durch den Eintritt in unsere Loge anfälliger geworden, sodass wir ihn vor den Gefahren in der Welt durch Gängelung schützen wollen? Oder sind wir pauschal der Meinung, dass die andere Loge aufgrund ihrer Irregularität so viel schlechter ist als unsere, dass ein Besuch unseren Bruder verdirbt? Vielleicht gibt es noch eine Vielzahl anderer möglicher Erklärungen, ich bin mir jedoch ziemlich sicher, dass keine dabei ist, die nicht diskriminierend ist. Und spätestens dort hört die Freimaurerei auf!

Das zweite Beispiel ist genau dasselbe, nur von der anderen Seite aus betrachtet. Wenn ein fremder Bruder an unsere Tür klopft, hat er als Mitglied einer irregulären Loge keinen Bonus bei der Prüfung. Wir werden ihn also etwa genauso penibel prüfen müssen, wie wir es mit jedem Suchenden auch tun. Wenn diese Prüfung positiv ausfällt, lassen wir ihn ein. Alles andere wäre Diskriminierung!

Die Auswirkungen

Ich möchte meine Ausführungen noch mit zwei ganz persönlichen Beispielen untermauern, die die Problematik anschaulich machen und eventuellen Missverständnissen vorbeugen sollen.

Gesetzt den Fall, ich bekäme eine Einladung von einer Freimaurerloge, die ihren Mitgliedern keinen Zwang zur Männlichkeit auferlegt (Im Moment hat sie jedoch eventuell ausschließlich männliche Freimaurer als Mitglieder und ist damit von außen her überhaupt nicht von einer regulären Loge zu unterscheiden), natürlich würde ich zunächst überprüfen, ob es sich tatsächlich um eine Freimaurerloge handelt. Und wenn diese Prüfung positiv ausfallen würde, würde ich die Einladung annehmen. Nur so kann ich auf meiner endlosen Suche nach der Wahrheit einen Schritt vorwärtskommen, nur so kann ich meinen Horizont erweitern. Und „ganz nebenbei“ stärke ich damit die Bruderkette aller wahren Freimaurer, die an den Übergängen zwischen Regularität und Irregularität leider viel zu schwach ist.

Das erste Beispiel war noch rein hypothetisch, das zweite hat leider einen ganz realen Hintergrund. Und natürlich habe ich es dem Arkanum folgend so weit verändert, dass nur die tatsächlich betroffenen Personen sich darin wiedererkennen können. Die Geschichte geht verkürzt so: Ein reifer Mann verlegt seinen Lebensmittelpunkt in unsere Gegend und fragt deshalb an, ob unsere Loge mal eine öffentliche Veranstaltung hätte, an der er teilnehmen könne. Und dann kommt er zu uns — und es stellt sich heraus: das ist ein genialer Freimaurer, so wie er im Buche steht! Was lag da näher, als ihm eine Annahme bei uns anzubieten? Er hat abgelehnt. Obwohl er sehr traurig über die Gründe seiner Entscheidung war, wolle er uns vor den „großen zu erwartenden Turbulenzen“ schützen, da er bereits Mitglied einer — allerdings irregulären — Freimaurerloge sei. Welch menschliche Größe, sein eigenes Wohlergehen gegenüber dem unserer Loge zurückzustellen!

Der Ausweg

In Anbetracht dieser offensichtlichen Diskriminierung von wahren Freimaurern durch uns als Freimaurer könnte man vor Scham im Boden versinken! Ich aber habe angesichts der unhaltbaren Situation zum Spitzhammer gegriffen, stirnrunzelnd meinen rauen Stein betrachtet und diesen Artikel geschrieben. Ich habe mich also zumindest bemüht.

Das war Kritik — beziehungsweise Selbstkritik, und Kritik sollte konstruktiv sein. Hier ist mein Vorschlag für den neuen §3 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 2 „Die Mitgliedschaft in der Loge“:

„Der Bruder Freimaurer hat das Recht auf Unterstützung seitens der Großloge beim Besuch aller regulären Logen auf der Welt bei ihren rituellen Arbeiten, soweit diese Großlogen angehören, welche von den VGLvD anerkannt sind und solange er selbst einer solchen Loge als ordentliches Mitglied angehört. Beim Besuch von Logen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, muss er selbst entscheiden, ob sein Besuch nicht dem freimaurerischen Gedanken widerspricht. Wer nicht Mitglied einer regulären Loge im Sinne von Satz 1 ist, darf erst an rituellen Arbeiten einer Mitgliedsloge der Großloge teilnehmen, wenn er die für Suchende vorgesehenen Prüfungen mit Erfolg bestanden hat.“

Was spricht dagegen?

Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 6-2021 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.