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Vermutungen zur Herkunft der Freimaurerei

Foto: Redzen2 / envato.com

Die ersten Jahre der Freimaurerei sind von einem seltsamen Nebel umhüllt, der manches verbirgt. Er verbirgt hauptsächlich die etwa hundertjährige Vorgeschichte der Freimaurerei, das nämlich, was der FM-Historiker David Stevenson (selbst Schotte) „das schottische Jahrhundert“ nennt. Aber auch rund um das berühmte Datum des 24. Juni 1717 gibt es zahlreiche Ungewissheiten, die geradezu verführerisch den Beobachter verlocken, seinen eigenen Verstand einzusetzen und sich mit seinen geringen Kenntnissen ein eigenes Bild von den Vorgängen und Tendenzen dieser Zeit vor dreihundert Jahren zu machen.

Von Prof. Mag. Klaus Henning, Vortrag in einer Wiener Loge

All das hat damit zu tun, dass sich damals – respektlos gesagt – ein paar bessere Wirtshausclubs zusammengetan haben, um einen gemeinsamen größeren Club zu gründen. Diese Clubs hatten damals schon eine bedeutende Vergangenheit, denn viele ihrer Mitglieder waren die Hüter der uralten Tradition des Kathedralenbaus, somit natürlich die Experten in der heikelsten aller damaligen Hightech-Branchen. Einmal ganz abgesehen von allem anderen, war man – wie immer und auch heute – sehr bemüht, keine Eindringlinge in den erlesenen Kreis derer einzulassen, die sich im anspruchsvollen Ambiente der Baumeister bewegten. Es ging darum, sich gegen solche Typen – man nannte sie Cowans – abzusichern, und aus diesem Erfordernis entwickelte sich eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen, wie wir heute sagen; denn es kam noch hinzu, dass dieser Beruf gewissermaßen mobil ausgeübt wurde und viele Baumeister weite Reisen zum Arbeitsort tun mussten – nun, es handelt sich um etwas, das heute hoch im Kurs steht: um berufliche Mobilität.

Das erforderte besondere Vorkehrungen wie Worte oder Gesten, die man überall anwenden konnte, und die waren für die Zeit modern. Somit war eine Barriere gegen unerwünschte Eindringlinge gegeben.

Wir sprechen vom ersten Viertel des 18. Jahrhunderts, und die Freemasons waren ein respektabler Verein, bei dem sich außer den Baumeistern viele andere respektable Leute für die Mitgliedschaft interessierten, was bald zum Phänomen der Acception führte – vorteilhaft für das Image der Vereinigung. Dass eine solche Gruppierung, damals wie heute, vom Duft der Diskretion umweht ist, kann niemanden verwundern.

Sehr bald allerdings sollte sich zeigen, wie wertvoll eine solche Absicherung war; denn kaum hatte die neue Gruppierung das liberale Inselreich verlassen und versucht, sich auch auf dem Kontinent zu etablieren, tauchte am Horizont ein gewaltiger Gegner auf, gegen den damals ein erfolgreicher Widerstand nicht nur aussichtslos, sondern unsinnig und selbstmörderisch schien.

Gemeint ist die katholische Kirche. Ich brauche nicht zu schildern, in welcher Machtposition die Kirche sich damals befand.¹ Ich will auch gar nicht die Motive des Vatikans untersuchen, ohne Zögern mit allen Mitteln gegen die sich ausbreitende Freimaurerei Front zu machen – bis hin zu den seit Langem bewährten Methoden der sogenannten heiligen Inquisition, der Vorgängerin der heutigen Kongregation für die Glaubenslehre.

Lasst uns an dieser Stelle zu einem kleinen Exkurs aufbrechen: In unserem Sprachraum gibt es zwei Werke, die ich jedem Bruder empfehle, insonderheit (ich liebe dieses Wort) den jungen Brüdern. Sie zeichnen das beste Bild unserer Kette; eines erschien 1929, das andere 2010, es liegen also etwa 80 Jahre zwischen den beiden Büchern, die übrigens ein und denselben Titel tragen: „Die Freimaurer“. Das erste stammt vom Schweizer Bankierssohn Eugen Lennhoff, dessen maurerische Laufbahn großteils in Wien ablief, das zweite von John Dickie, einem britischen (genauer: schottischen) Historiker, der nach eigenem Bekunden kein Freimaurer ist.

Die beiden Bände unterscheiden sich klarerweise dadurch, dass im jüngeren (Dickie) die letzten Jahrzehnte freimaurerischer Forschung berücksichtigt sind. Eine Passage über den Inquisitionsprozess gegen den britisch-portugiesischen Freimaurer John Coustos ist durch ein Zitat aus den Akten besonders interessant.

Die Inquisitoren wollten den Grund für die maurerische Verschwiegenheit erfahren und notierten dazu im Akt Coustos‘ Aussage: Der Zweck solchen Verfahrens sei die Verschwiegenheit. Dickie (kein FM) wird beinahe sarkastisch und meint:

Der Zweck masonischer Verschwiegenheit ist also die Verschwiegenheit. All die grauenerregenden Strafen für Wortbrüchige sind nur Theater – und finden niemals Anwendung. … Doch seit damals sind Freimaurer wie er (Coustos) und ihre Feinde wie die Inquisitoren dem Drang erlegen, weitaus mehr in die masonische Verschwiegenheit hineinzugeheimnissen, als wirklich in ihr ist.

Mit einem weiteren kleinen Schritt zurück ins 17. Jahrhundert stehen wir nun vor der ersten der Drei Kränkungen², jener Trias, die ihren Namen erst im Jahre 1917 erhalten hat. In die Periode der – wie ich sie nenne – schottischen Protologen fällt die Verbreitung des Wissens über die kopernikanische Wende, nach der sich nicht mehr das Firmament um die Erde dreht, sondern diese sich um die Sonne. 1543 hatte der große Forscher diese kosmologische Theorie veröffentlicht, knapp hundert Jahre später verbot die heilige Inquisition die neue Auffassung von Himmel und Erde³ – da war der kirchliche ‚Schadensfall‘ aber schon passiert.

Wir sehen also, wie falsch es ist, wenn wir die Geschichte der Freimaurerei isoliert betrachten, denn es sind vielfach die Entdeckungen und Entwicklungen in der Profanei, an die sich das Gedeihen und die Entwicklung unserer Bewegung koppelt. Das mag für maurerische Ohren seltsam klingen, ist aber eine Tatsache. Man sollte sie besser schon jetzt anerkennen, bevor unsere Probleme mit der Künstlichen Intelligenz schlagend werden.

Denn seinerzeit – also 1717 bei der Gründung der Großloge von England – war das Terrain noch frei für Geschichtchen jeder Art; und das wurde weidlich genutzt. An erster Stelle der Fabulierer steht James Anderson selbst, der allerhand zusammenschwadronierte. Eugen Lennhoff zeigt sich entgeistert, denn

„… was er (Anderson) niederschrieb, ist durchaus nur als Legende zu werten, diktiert vom Bestreben, den eben geschaffenen Bund so altehrwürdig als nur möglich erscheinen zu lassen. Eine andere Absicht lag seiner phantasievollen, aus alten Zunftsagen geklitterten, bis auf Adam zurückgehenden Baugeschichte, die er der Verfassung der jungen Großloge mit auf den Weg gab, nicht zugrunde.“

Das kann man wohl sagen; denn in diesem Kielwasser tummelten sich danach noch die rührigsten Ahnenforscher der Bewegung, wie zum Beispiel William Preston, der die Freimaurerei bis auf die Schöpfung zurückführte, oder „Dr. George Oliver, für den es feststand, dass die maurerische Wissenschaft schon vor der Entstehung der Erde auf älteren Planetensystemen zu Hause war.“

Die sensationellste (und bis heute in der Realität wirksame) unter den vielen seltsamen Ideen war allerdings die maurerische Vereinnahmung der Kreuzritter und des Templerordens, vorangetrieben durch einen Lyoner Seidenfabrikanten namens Jean-Baptiste Willermoz und einen schottischen Publizisten namens Andrew Michael Ramsey, der sich in Frankreich zum Katholizismus bekehrte; er spielt übrigens in der Entstehung des Schottischen Ritus eine tragende Rolle.

Der zeitliche Rückgriff über mehrere Jahrhunderte klärt uns darüber auf, was seinerzeit für das Image einer Gruppierung von Bedeutung war, was die schottischen und englischen Gründerväter der Maurerei als Zeitgenossen aber nicht realisierten: dass nämlich solche Bezüge in Wirklichkeit nur Ausdruck der allgemeinen und bewährten Tendenz waren, mit möglichst langer und großartiger Vergangenheit zu prunken.

Bedauerliche Nebenwirkung: Die wahren gesellschaftlichen und besonders die wissenschaftlichen Entwicklungen wurden dadurch nicht nur verdunkelt, sondern geradezu verschüttet. Heute möchte ich sagen, dass Kopernikus, Newton oder Galilei viel eher als geistige Väter der Maurerei in Frage kommen würden als Adam, Noah oder Jacques de Molay. Das würde unserer Bewegung als der erstgeborenen Tochter der Aufklärung durchaus guttun.

¹ Mit dieser Passage verletze ich keineswegs die Politik-Religion-Klausel in der Konstitution, da mein Gegenstand ja nicht die christliche Religion ist, sondern gewissermaßen das Bodenpersonal, also die handelnden Personen der katholischen Kirche.

² Die kosmologische, die biologische und die psychologische Kränkung der Menschheit (Terminus von Sigmund Freud).

³ Das muss man sich einmal vorstellen: Die Kirche verbietet einfach kurzerhand das Ergebnis von Forschung. An diesem Dekret der hl. Inquisition kann man gut die damalige Machtstellung der Kirche und des Papsttums erkennen, ebenso wird es leichter, den damals beginnenden schleichenden Machtschwund der Priesterkaste zu erfassen. Die beiden anderen Kränkungen fallen schon in die Zeit der Macht-Zerrüttung in der Kirche.

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