Zum „Geheimnis“ in der Freimaurerei gibt es großes Rätselraten in der Öffentlichkeit. Der folgende Vortrag, anlässlich der Aufnahme eines neuen Mitgliedes gehalten, gibt Aufschluss.
Von. Hans-Hermann Höhmann
Kein Begriff ist im Positiven wie im Negativen so eng mit der Freimaurerei verbunden wie der Begriff „Geheimnis“. Er begleitet den Bund von seiner Entstehung an bis hinein in die Gegenwart. Er wirkt im Inneren der Freimaurerei als Element ihres Selbstverständnisses und tritt dem Bund von Außen immer wieder als zentraler Bestandteil mannigfaltiger Verschwörungsideologien entgegen. Der Freimaurer muss infolgedessen Bescheid wissen über das, was es mit dem freimaurerischen Geheimnisses auf sich hat. Ein Versuch dazu ist diese Zeichnung, die bisherige Überlegungen zu diesem Gegenstand zusammenfasst.
Freimaurerei ist ein Produkt der Moderne. Sie entstand – Entwicklungsanstöße und Strukturmaterial aus der älteren Geschichte aufnehmend – zu Beginn des 18. Jahrhunderts und blickt inzwischen auf eine Entwicklung von gut 300 Jahren zurück. In dieser Zeitspanne ist die Freimaurerei von unterschiedlicher kultureller, gesellschaftlicher und politischer Bedeutung gewesen. Sie konstituierte sich als verschwiegene, ja geheime Verbindung, denn in den bestehenden ständisch-absolutistischen Strukturen neue Formen sozialer Einbindung zu suchen, veränderte Zugänge zu religiösen Erfahrungen zu erproben und kritische philosophische Diskurse zu führen, bedurfte eines schützenden Mediums.
Es gab zwar nie eine einheitliche Freimaurerei, und ihre Geschichte ist immer eine Geschichte ihrer Veränderungen gewesen. Doch es gab eine fortwährende Übereinstimmung. Dieses große Gemeinsame der verschiedenen „Freimaurereien“ blieb durch die Zeiten hindurch die brüderliche Gemeinschaft, die geübte Verschwiegenheit, das Setzen von Gruppengrenzen, die Trennung von innen und außen – kurz das „maurerische Geheimnis“.
Es hatte und hat verschiedene Funktionen für die freimaurerische Gruppenbildung und ist damit von großer Relevanz auch für die Frage nach Veränderungen und Reformen. Unter diesen (auch heute noch) partiell bewusst gesetzten, partiell implizit praktizierten Funktionen können vorrangig die folgenden sieben unterschieden werden:
Die schützende Funktion: ursprünglich Bedingung für eine von staatlichen und kirchlichen Eingriffen freie Sphäre, wurde sie später mehr und mehr Voraussetzung zur Bewahrung der im Falle der Veröffentlichung störanfälligen Integrität des rituellen Geschehens;
Die soziale Funktion: Stiftung von Freundschaft unter Menschen, die sich sonst nicht als Freunde begegnet wären; sie bewirkte soziale Einbindung; Raum für die Begegnung als „bloße“ Menschen sowie Grundlage für ein emotionales „zu Hause“;
Die integrative Funktion: Zusammenbinden der generell eher unbestimmten Zwecksetzungen der Freimaurerei durch Stiftung von emotional erlebter, wert- und symbolüberhöhter Gemeinsamkeit;
Die pädagogische Funktion: Arbeit am eigenen Habitus, Einüben von Tugend und Vertrauenswürdigkeit, Praktizieren von „Einübungsethik“, wie Bruder Klaus Hammacher die ethische Orientierung des Freimaurers genannt hat;
Dazu kommen mit stärker negativem Charakter:
Die Lockfunktion: Erhöhen der Attraktivität der Freimaurerei durch Einhüllen in einen „Mantel des Geheimnisvollen“;
Die illusionsstiftende Funktion: Schaffung und Sicherung eines Raums zum Ausleben mannigfaltiger (oft im Widerspruch zu erklärten freimaurerischen Prinzipien stehenden) „Selbstverwirklichungs- und Selbsterhöhungsambitionen“;
sowie in Verbindung damit und sehr wesentlich für den Prozess von Veränderungen und Reformen
Die Funktion der „inneren Hierarchisierung“: Gradvermehrung im Sinne einer „Hierarchie von Einweihungen“ zwecks Schaffung erweiterter Erlebnis-, Geltungs- und Selbstverwirklichungsmöglichkeiten – eine Funktion, die sich immer wieder auch als Element der Generierung von Konflikten in und zwischen Logen erwiesen hat und erweist.
Wie bereits angedeutet, können auch die mannigfaltigen Umgestaltungen des Freimaurerbundes im Hinblick auf das freimaurerische Geheimnis interpretiert werden. Dabei lassen sich vier typische Ansätze unterscheiden:
1.
Die „Relativierung des Geheimnisses“, die besonders in den Ritualen der Großlogen von Bayreuth, Frankfurt und Hamburg Ausdruck fand. Hier ging es nicht mehr um ein vermeintlich in den Ritualinhalten verborgenes „wahres“ Geheimnis, es ging um das „eigentliche Geheimnis“ der Freimaurerei, das menschliche Begegnung zwischen Freunden, das Erlebnis der Bruderliebe sowie die „freimaurerische Geisteshaltung“ in das Zentrum des Bundes rückte.
2.
Die schon genannte „Hierarchisierung des Geheimnisses“: Hier wurde und wird das freimaurerische „Geheimnis“ (oder zumindest ein wesentlicher Teile davon) in den Ritualen neuer Grade und Erkenntnisstufen gesucht, die über die „klassischen“ Grade Lehrling, Geselle und Meister hinausgehen und ein zunehmendes Maß an „Binnendifferenzierung“ innerhalb der freimaurerischen Gruppe bewirken.
3.
Die Verstärkung des religiösen Charakters der Freimaurerei („Metaphysierung des Geheimnisses“), wobei einerseits christliche, vor allem christologische, andererseits esoterische Elemente in den Vordergrund rückten.
4.
Schließlich die „Radikalisierung des Geheimnisses“ durch den Übergang zum politisch orientierten Geheimbund, wofür die Illuminaten (in Grenzen) das wichtigste historische Beispiel bieten.
Zweierlei ist hier hinzuzufügen: Einmal sind die einzelnen Reformansätze nicht klar voneinander zu trennen und können sich, wie „Verchristlichung“ und Hierarchisierung miteinander verbinden. Zum anderen verlaufen sie nicht gradlinig und können auf den jeweiligen „Reformachsen“ Gegenentwicklungen auslösen (gegen Hierarchisierung durch Hochgradsysteme etwa das Wirken der Bayreuther Großloge, des „Eklektischen Bundes“ und des Schröderschen Systems, gegen Metaphysierung z.B. die Positionen des „Grand Orient“ in Frankreich und hierzulande des „Freimaurerbunds zur aufgehenden Sonne“, gegen Relativierung Rückkehr zur Esoterik als Material und Perzeptionsweise freimaurerischer Rituale).
In der gesellschaftlichen Realität von heute sind sich die deutschen Logen und Großlogen bewusst, dass die Freimaurerei ein neues, „offenes“ Verhältnis zur Öffentlichkeit herzustellen hat. Die Bruderschaft versteht sich als Bestandteil der demokratisch-pluralistischen Gesellschaft. Dies bedeutet zugleich, sich ihres Platzes in eben dieser Gesellschaft zu versichern und sich ihrer sozialen Umwelt verständlich zu machen, denn je mehr sich die deutsche Freimaurerei zur Gesellschaft öffnete, desto häufiger wurde sie auf ihr Selbstverständnis und ihre Wirklichkeit hin befragt. Legimitätsbegründungen durch Berufung auf die Geschichte der Freimaurerei reichten nicht mehr aus. Auch Hinweise auf „bedeutende Freimaurer“ konnten nicht genügen. Die Fragen, was Freimaurerei in der modernen Gesellschaft ist und sein will, und was das „freimaurerische Geheimnis“ heute bedeutet, mussten auf eine klarere Weise beantwortet werden.
Eine präzise Antwort auf diese Fragen ist jedoch schwierig, denn die Formen und Farben des Freimaurerbildes variieren mehr oder weniger von Großloge zu Großloge.
Bei der Großloge AFuAM und ihren Logen gibt es allerdings Übereinstimmungen, die in Satzungen, Positionspapieren, Logen- und Großlogendiskussionen und den freimaurerischen Internetseiten ihren Ausdruck finden.
Weitgehender Konsens besteht innerhalb des humanitären Teils der deutschen Bruderschaft darüber, dass Freimaurerei ein Freundschaftsbund ist, der über weltanschauliche, politische, nationale und soziale Grenzen hinweg Menschen miteinander verbinden will.
Zweitens wird Freimaurerei übereinstimmend als ethisch orientierter Bund verstanden, der mit seinen alten Wertpositionen Humanität, Brüderlichkeit, Freiheit, Gerechtigkeit, Friedensliebe und Toleranz Orientierungen und Maßstäbe für das Denken und Handeln ihrer Mitglieder vorzugeben in der Lage ist.
Schließlich verstehen sich die humanitären Freimaurerlogen weitgehend ungeteilt als dogmenfreie Kultgemeinschaften, die sich zur Festigung zwischenmenschlicher Bindungen, zur gefühlsmäßigen Vertiefung moralisch-ethischer Überzeugungen, zur Vergegenwärtigung transzendenter Bezüge und als Anleitung zur Selbsterkenntnis überlieferter Symbole und Rituale bedienen.
In diesem Kontext ist auch die Frage nach dem „Geheimnis“ nach wie vor von Bedeutung!
Zunächst eine deutliche Abgrenzung: Freimaurerei versteht sich in keiner Weise als Geheimbund oder gar Verschwörung. Der Freimaurerbund und seine Mitglieder bekennen sich zu Demokratie und offener Gesellschaft, zu deren Verwirklichung viele Freimaurer wesentlich beigetragen haben. Zweck, Organisation und Vorstände von Logen und Großlogen sind jedem Interessenten zugänglich. Viele Veranstaltungen der Freimaurer sind heute öffentlich, und viele der im Auftrag der Großlogen herausgegebenen Publikationen können auch von Nichtmitgliedern des Bundes bezogen werden.
Die von den Freimaurern geübte Verschwiegenheit bezieht sich nur auf einige Einzelheiten des freimaurerischen Brauchtums und ist Symbol für den in jeder Gemeinschaft notwendigen Schutz von Freundschaft und persönlichem Vertrauen. Das „freimaurerische Geheimnis“ kann heute nur noch im Sinne eines solchen Vertrauensschutzes verstanden und praktiziert werden. Es darf Freimaurerei und Gesellschaft nicht trennen. Es sollte vielmehr angesichts des weitverbreiteten, gleichermaßen von den Medien wie ihren Konsumenten zu verantwortenden, oft schon suchthaften Dranges zur Indiskretion als konstruktives und stabilisierendes Wirkungselement einer offenen und zugleich humanen Gesellschaft verstanden und vermittelt werden.
Wenn sich die Freimaurerei in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit darum bemüht, ihre Strukturen und ihr Selbstverständnis deutlich zu machen, sollte folglich nicht nur über brüderliche Beziehungen und ideelle Werte gesprochen werden. Verdeutlicht werden müssen auch Wesen und Herkunft des Rituals und die Rolle des Geheimnisses in ihm. Dies ist möglich, auch (und gerade) wenn ein Kern von Arkandisziplin als Symbol für Einübung in Vertrauenswürdigkeit bewahrt wird. Voraussetzung dafür, dass auch das Gespräch über Ritual und „Geheimnis“ in die Öffentlichkeitsarbeit der Logen einbezogen werden kann, ist allerdings ein gründliches Wissen über Herkunft und Funktion der freimaurerischen Rituale. Erfreulicherweise ist ein Bemühen darum seit Langem eine Selbstverständlichkeit in unserer Loge, und ich bin überzeugt davon, dass es dabei bleiben wird!
Und schließlich noch dieser Gedanke: Jeder Bruder hat auch sein ganz persönliches, eigenes freimaurerisches Geheimnis, das sich in ihm und um ihn entwickelt und ihn prägt. Doch wenn wir im Tempel versammelt sind, entsteht jene Atmosphäre der Verzauberung, in der wir verbunden sind. Diese Atmosphäre vermittelt Ruhe und Nachdenklichkeit. Sie öffnet uns aber auch für neue Aufgaben und für neue Menschen, die wir in unsere Kette einbinden dürfen, wie heute Abend unseren neuen Bruder.
Leider ist mir verspätet noch etwas sehr Plastisches zum Thema “Geheimnis” eingefallen. Der bekannte Hamburger Freimaurer Rolf Appel, mit dem ich über 50 Jahre befreundet war, hat mir einmal erzählt: Nachdem die Nazis das frühere Hamburger Logenhaus in der Welckerstrasse zerstörten und geplündert hatten, klopften sie nahezu jeden Stein einzeln ab, um das freimaurerische Geheimnis zu entdecken. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass es nur im gemeinsamen brüderlichen Erleben im Tempel erfahrbar ist.
Br:. H.-H. Höhmann hat das Thema “Geheimnis der FM” in der ihm eigenen und anzuerkennenden Breite und Differenzierung dargestellt. Sie erfordert jedoch viel Hintergrund- und Detailwissen. Für unser Außenbild in der Öffentlichkeit ist es jedoch von überragender Bedeutung, dass wir endlich vom Bild des “Geheimbundes” wegkommen. Der Begriff ist negativ konnotiert: Geheimdienst, Geheimwissen usw. Aus Gesprächen mit Suchenden, die das Thema regelmäßig nach kurzer Zeit aufwerfen, weiß ich jedoch, dass sie volles Verständnis dafür haben, dass und warum wir das Ritual, Zeichen, Wort und Griff, die Mitgliedschaft und das im Logenkontext gesprochene Wort schützen. H.-H. Höhmann sprach selbst zu Recht davon: “nicht enthüllen, sondern erläutern”. Wir sollten diese zu schützenden Elemente klar benennen und ihre Schutzwürdigkeit begründen, was ohne Verletzung des Arkangeheimnisses möglich ist. Statt von “Geheimnis” sollten wir von schutzbedürftigen, “besonders >>vertraulichen Angelegenheiten<< unseres Bundes" sprechen. Der sprachlich-emotionale Bezug zu "Vertrauen", das auf "Treue", "trauen" zurückzuführen ist, lässt unsere Schutzbedürfnis hingegen in einem eher positiven Licht erscheinen. Dieser Ansatz erlaubt es uns, den Schleier vom vermeintlich "Geheimbündlerischen" zu entfernen und mit den Begründungen offen umzugehen. Gerade bei jungen Suchenden stoße ich dabei auf viel Verständnis ("man läuft wirklich nicht Gefahr, dass eine vielleicht wenig geschickte Äußerung nur wenige Stunden danach in Facebook durch den Kakao gezogen wird ? – das ist cool"). Wir sollten den Mut zum Wandel in der Außenkommunikation aufbringen.
Ein sehr schöner Beitrag. Er gibt mir zusätzliche Worte , mit denen ich den Freunden das wirkliche Wesen unseres Bundes nahe bringen kann. Denn ich finde es heute wichtiger den je sich nicht zu verstecken. Leider habe ich ein paar enge Freunde die hartnäckig an die Verschwörungsmythen glauben.
Br. Michael
Während meines Volontariats bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Koblenz in den 60ziger Jahren hatte ich einen Büroleiter als Vorgesetzten, der streng katholisch ausgerichtet war und im Kloster Maria Laach geheiratet hatte. Ich wohnte damals im Logenhaus in der Mozartstrasse. Als er erfuhr, daß ich Freimaurer bin, begleitete er mich mit Haß. Ich bekam zum Teil unbedeutende Themen und wurde an höheren Stellen in Frankfurt a M. und Hamburg, am damaligen Sitz der Zentrale, schlecht gemacht. Meine Ausbildungszeit wurde daraufhin verlängert. “In die dpa-Zentralekommen Sie nie”, sagte er, wobei er sich irren sollte. Als ich mich vom Büroleiter am Ende meiner Volontärszeit in Koblenz verabschiedete, drehte er mir den Rücken zu und gab mir nicht die Hand. Kein Wort einziges Wort des Abschieds. Ich weiß nicht, ob es solche haßerfüllten Einstellungen auch heute noch in streng katholischen Gegenden Deutschlands gibt. In Österreich sei es leider der Fall, sagte mir ein Br. und dpa-Kollege, dessen Bruder, ein Freimaurer, dort lebt. Ich mußte mir wegen der Hierarchie alles gefallen lassen, es gab noch keinen Diffamierungparagrafen, der Büroleiter konnte alles Mögliche “nach oben” über mich berichten.
Schön mal wieder für die breite Öffentlichkeit zu lesen! Wir sind eigentlich selbst schuld, dass kaum offen über unsere Bruderschaft in der Bevölkerung jemand was weiß. Wir verstecken uns nicht – machen aber auch keine „Werbung und geben keine Informationen“ z. B. mal in der Tageszeitung „preis“!
Br. Eckart
Ein sehr gelungener Beitrag. Um die Freimaurerei in der Öffentlichkeit im rechten Licht zu platzieren, liegt noch ein weiter Weg vor uns. Packen wir`s an.
Br:. Hans Herrmann Höhmann ist mir ein seit Jahrzehnten ans Herz gewachsener Bruder mit tiefgreifender Aussagekraft in all seinen
Beiträgen.