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Von Bodo Dannhöfer
Eine literarische Collage
Mit dem Leben ist dem Menschen auch der Tod bestimmt. Er begleitet das Leben wie der Schatten das Licht. Alle Tage sind Schritte dem Tod entgegen und am letzten Tag wird das Ziel erreicht. Manche sterben zu früh, einige zu spät und nur schwer übt sich die Kunst, zur rechten Zeit zu sterben. Keiner sieht jemals den Tod, keiner hört ihn. Sein Wesen ist Furcht einflößend und der Zeitpunkt seines Erscheinens ungewiss. Er verrät seine Geheimnisse nicht, dabei ist auf ihn Verlass, denn jeder wird sterben. Deshalb ist der größte Kurs des Lebens zu akzeptieren, dass man zu sterben hat und zu entscheiden, in welcher Haltung dies geschehen soll.
Wie alle Dinge im Menschen erwachten, als er geboren wurde, so wird alles in ihm vergehen, wenn es für ihn an der Zeit sein wird zu sterben. Der Tod ist der große Vernichter, ein Teil der Weltordnung und ein Stück des Lebens. Alle Wesen sind somit nur vergängliche Schemen, die mit vollen Händen dem Tod zugeschleudert werden. Dabei trägt jedes das Wappen und Abbild des großen Baumeisters aller Welten.
Manche träumen vom ewigen Leben. Das hieße eine Ewigkeit, in der die Jahrhunderttausende der Jahrmillionen kämen und gingen mit ihren Tagen der Bedeutungslosigkeit. Zeit würde ein Abgrund, tausend Nächte tief.
Die Zeit, die den Menschen zur Verfügung steht, ist nicht zu gering, wie einige bemängeln. Sie lassen nur zu viel davon achtlos dahinschwinden. Die meisten gehen mit ihr um wie mit einem Spielzeug. Doch das Leben bietet dem, der es richtig zu gebrauchen weiß, einen weiten Spielraum.
Erst durch den Tod erhält das Leben seine Einmaligkeit. Was jeder Einzelne unter dieser Krone zusammenträgt, liegt allein in seiner Verantwortung. Jeder Moment hat seinen besonderen Wert. Darum hat alles seine eigene Zeit — mit einem Anfang und einem Ende. Doch schwer übt sich die Kunst, den Tod im Leben willkommen zu heißen. Diesem Gegner kann seine Macht nur durch Umarmung genommen werden. Wem diese große Aufgabe gelingt, darf sich einen Meister nennen.
Der Wert eines Lebens kann nicht nach dessen Länge gemessen werden; er ist von seinem Inhalt abhängig. Wer jeden Tag so verwendet, als sei es der letzte, kann den morgigen Tag weder mit Verlangen noch mit Furcht erwarten. Manche sagen, man soll besser gut als lange leben. Ständig marschbereit sein, wenn die letzte Zeit kommt, ohne dass der Abschied von etwas schwer würde. Mit einem Loblied auf den Lippen aus dem Leben gehen und kräftig auf das Leben und diejenigen spucken, die sich blind daran festhalten.
Wenn es einen Stein der Weisen gibt, dann ist es der Grabstein. Er trägt Buchstaben, die auch die Blinden sehend machen. Denn im Angesicht des Todes lässt sich leichter erkennen, was kostbar ist. An diesem Punkt kann sich der Mensch seiner Bedeutung nähern und seinem Leben eine Sinnausrichtung geben. Ob dies in Form von Komfort, Einfluss, Geld, Prestigeobjekten, Erfahrungen, Erkenntnis, ethischem Handeln oder Weisheit angestrebt wird, ist jedem selbst überlassen. Nur dessen Umsetzung sollte nicht aufgeschoben werden. Vielerorts schwingt der Satz: „Wenn ich erst einmal in Rente bin, dann mache ich …“ Doch das größte Hemmnis des Lebens ist die Erwartung, die sich an das Morgen hängt und das Heute verloren gibt. Das Später ist ungewiss. Was zu tun wäre, ist hier und jetzt zu tun. Niemand weiß, ob er später noch die Möglichkeit oder Fähigkeit dazu haben wird. Auch, ob es eine jenseitige Welt gibt, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden.
Nicht den Tod sollte man fürchten oder dass man nicht fertig geworden ist, sondern dass man nie beginnen wird zu leben. Denn das passiert, wenn man vor dem Tod zittert oder ihn ignoriert. Dabei muss alles, was persönlich geleistet, errungen und gestaltet wurde, auch wieder zurückgelassen werden. Wer etwas abschließt, schafft Platz für Neues. Das heißt, seine Umklammerung der alten Krisen, Niederlagen und Trauer, aber auch der alten Höhen, Triumphe und Freuden zu lösen. Alles kommt und alles geht, alles ist flüchtig und alles fügt sich stets neu zusammen, ewig baut sich neu das Haus des Seins. Immer jetzt ist der Augenblick der Tat.
Wir Freimaurer arbeiten an einer Welt, die lebensfreundlicher, freier, fairer, verständnisvoller und gerechter wird. Wir bauen am Tempel der Humanität und Humanität ist kein Zustand, sondern eine fortwährende Tätigkeit.
Wenn es für uns Zeit sein wird zu sterben, dann werden wir es ohne Angst tun können, denn das haben wir als Freimaurer gelernt. Wir lernten die Kunst zu leben und die Kunst zu sterben. Die Kunst, sich über das Unabwendbare zu erheben. Der Tod verliert seinen Schrecken, wenn er uns bewusst wird — und lange beschäftigen wir uns schon mit ihm. Er lächelt uns alle an und wir können zurücklächeln.
Als Freimaurer gedenken wir der Brüder, die den großen Bau begannen und der Unzähligen, die vor uns an ihm gearbeitet haben. Von ihnen haben wir unsere Kunst gelernt. Auf ihr Fundament legen wir unsere Steine. Wir arbeiten mit dem Maßstab des Ewigen und führen das Werk weiter, damit es einst von denen übernommen werden kann, die nach uns kommen werden. Freimaurerei ist das Werk derer, die waren, die sind und die noch sein mögen.
Dieser Text ist eine literarische Collage. In ihr sind Motive und Zitate zum Thema Tod verbaut, die u.a. aus Werken von Marcus Aurelius, Ingmar Bergman, Epikur, dem Gilgamesch-Epos, Ernst Jünger, Sören Kierkegaard, Werner Herzog, Michel de Montaigne, Friedrich Nietzsche, dem Meister-Ritual, Rafik Schami, Seneca d. J., Dr. Michael Schmidt-Salomon stammen. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit des Textes sind sie nicht weiter gekennzeichnet.
Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 6-2021 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.