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Wie? So!

© peshkova / stock.adobe.com

Von Andreas Plöger


Ein unpraktisches Plädoyer für das Praktische

Die seit dem 19. Jahrhundert geführten Debatten über Sinn und Aufgabe der Freimaurerei in der (jeweiligen) Gegenwart und Zukunft füllen mittlerweile Bibliotheken. Diese Frage beschäftigt die deutsche Freimaurerei bis heute (und sehr wahrscheinlich morgen), wie man auch in fast jeder Ausgabe der „Humanität“ nachvollziehen kann. Selten verlassen wird die Ebene der pathosreichen oder allzu theoretischen Vogelperspektive, die sich an den großen Fragen abarbeitet: „Wieso? Weshalb? Warum?“

Freimaurerei im unauflösbaren Spannungsfeld

Konkrete praktische Überlegungen zu Form und Inhalten des Logenlebens, insbesondere außerhalb der Tempelarbeiten, sind deutlich seltener. Ermüdend ist, dass die Frage „Braucht es die Freimaurer im 19./20./21./22. Jahrhundert?“ stets eine rhetorische ist. Denn nach vielen elaborierten Abwägungen attestieren wir uns dann doch immer wieder selbst, dass es die Freimaurerei, ihre Rituale und Gesellschaftsform braucht, natürlich mit gewissen Anpassungen. Hier beginnt dann die eher überschaubare Schöpfungshöhe in diesem gut geölten Wortmeldungshamsterrad. Würde man mit „Nein“ antworten, blieben konsequenterweise nur zwei Handlungsoptionen: Grundständige Reform – im Zweifelsfall um den Preis der jeweils herrschenden Regularitätskriterien, im Übrigen ein anderes Lieblingsthema unserer Zunft – oder individuelle Deckung. Das gilt für die 1890er Jahre ebenso wie für die Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts, die Zeit der Bonner Republik und das 21. Jahrhundert. Es existiert demnach ein anscheinend unauflösbares (weil unaufgelöstes) Spannungsverhältnis zwischen rituellem, traditionsreichem Männerbund und den vielschichtigen soziokulturellen, ökonomischen und technologischen Umwälzungen der europäischen Moderne. Oder Ratlosigkeit, worüber man eigentlich sonst noch reden könnte? Heißt am Ende Freimaurer sein, darüber zu reden, Freimaurer zu sein?

Loge unpraktisch

Gemessen an der schier endlosen freimaurerischen Selbstreflexion des „Warum“ und „Wozu“ liegt bis heute jedoch keine umfassende Handreichung oder Erfahrungssammlung vor, die sich z. B. mit dem Amt des Redners und dem praktischen „Wie“ in Bezug auf seine Aufgaben, nämlich der inhaltlichen Ausgestaltung des Logenlebens, intensiv auseinandersetzt. Zumindest keine, die man über die einschlägigen Verlage in aktueller Auflage beziehen könnte. In Satzungen, Hausgesetzen, Zeitschriftenbeiträgen und Buchabschnitten zu den Aufgaben der Beamten einer Loge wird – soweit überblickbar – meistens auf eine vertiefende Konkretion seiner Amtsführung verzichtet. Man bleibt beim übergeordneten Auftrag, Reflexionen über Verpflichtungen und meist nur wenigen wie vagen Alltagsbeispielen. Viele redliche Versuche freimaurerischer Lehr- und Handbücher liegen vor, die Ritual, Brauchtum und Geschichte unseres Bundes in unterschiedlicher Qualität und Tiefe behandeln. Doch ein Bruder Redner, der inhaltlich das wichtigste Amt einer Loge bekleidet, ist auf

  • die Einarbeitung durch seinen Amtsvorgänger und dessen Qualitäten,
  • versprengte Hinweise in der freimaurerischen Publizistik,
  • eine gut erschlossene Logenbibliothek,
  • Erfahrungsaustausch mit Brüdern im Amte und
  • Inspiration bei anderen Logen

angewiesen, wenn er nicht selbst über einen entsprechenden beruflichen und/oder akademischen Hintergrund verfügt. Nun ließe sich einwenden, dass gerade die Weitergabe von Wissen und Fertigkeiten ja eine zentrale Aufgabe innerhalb eines „ethischen Werkbundes“ und der eigenen Loge sei. Diese, Verzeihung, schwärmerische Perspektive ist jedoch unrealistisch. Sie nimmt einen Idealfall an, den es erst einmal zu beweisen gilt. Ein Bruder, der eine Handreichung mit praxisorientierten Inspirationen vielleicht doch gebrauchen könnte, weil einige der oben genannten Bedingungen aus welchem Grund auch immer unerfüllbar sind, der Amtsvorgänger verstorben oder geflüchtet ist, bleibt im buchstäblichen Regen stehen. Denn wo, außerhalb der meist nur eintägigen Redner-Seminare der Distrikte, findet ein Bruder Redner sonst noch Hilfestellungen, wie er seinen expliziten und impliziten „Pflichten“ und „Aufgaben“ denn nun eigentlich nachkommen soll? Ein Fundament, von dem aus er souverän die inhaltliche Arbeit weiterentwickeln kann?

Ein Aufruf: Loge praktisch!

Umgekehrt hat jede Loge, trotz der verbindenden Kette des Rituals, eines geteilten Wertekanons und Brauchtums, eigene Gepflogenheiten, Ideen und Konzepte für die inhaltliche Gestaltung des Logenlebens. Anstatt des Lamentos wäre es schön, wenn wir diese Eigenheiten noch deutlich intensiver teilen würden, als dies bisher der Fall war und uns wechselseitig durch konkrete, umsetzungsfähige Ideen inspirieren. Etwa hier, in der „Humanität“.
Ich denke z.B. gerne an einen Besuch bei der Loge „Schiller“ im Orient Essen, bei der ich die Institution der Bruderrunde kennengelernt habe. Am Anfang eines Bruderabends hat jeder Bruder nacheinander die Möglichkeit, den Brüdern kurz (!) aus seinem Leben zu berichten. Wer nicht möchte, schweigt und gibt das Wort weiter. Ganz einfach. So entstehen echte Anteilnahme und neue Gesprächsanlässe zwischen Brüdern – auch nach dem formalen Ende des Abends. Wir haben diese Bruderrunde auf meinen Vorschlag dann auch bei uns eingeführt.

Ich möchte uns alle dazu anregen, auch die Freimaurerei praxisorientierter zu denken (bzw. hier: zu schreiben) und über „ideas worth spreading“ zu reden, um sich des Claims der TED-Talks zu bedienen. Denn nur über das „Wie“ werden Handlungen in Gang gesetzt, entsteht Gestaltung – und Neues. Dies mit einem Lamento über zuviel „Warum“ und zu wenig „Wie“ anzustoßen, ist natürlich nicht frei von einer gewissen Ironie. Den Spaß gönne ich dem Leser.

Alle Fragen offen …

Daher schließe ich mit einer Reihe ganz unterschiedlicher Fragen, auf deren Beantwortung ich aus ganz unterschiedlicher Richtung gespannt bin:

  • Wie findet die Themenfindung für Vorträge und Zeichnungen bei euch privat und euren den Logen statt?
  • Welche inhaltlichen und gestalterischen Ansprüche stellt ihr an Vorträge?
  • Welche anderen Formate und Methoden habt ihr jenseits des klassischen Vortrags ausprobiert – worüber und mit welchem Erfolg?
  • Wie wird bei euch ein Bezug zwischen Ritual und Symbolik einerseits, der „realen“ profanen Gegenwart andererseits hergestellt?
  • Wie organisiert ihr das brüderliche Miteinander außerhalb der Logenabende?
  • Wie sehen bei euch Instruktionen aus?
  • Wie wählt ihr Gastreferenten aus?
  • Wie werden Lehrlinge und Gesellen an die inhaltliche Arbeit jenseits des reinen Miterlebens oder Instruktionen herangeführt?
  • Welche logeneigenen Herangehensweisen habt ihr bei Instruktionen?
  • Habt ihr außerhalb des Tempels einen Dresscode – wenn ja warum? Oder: warum nicht?
  • Wie handhabt ihr Lehrlings- und Gesellenzeichnungen?
  • Gibt es bei euch ein Brudermahl nach der Tempelarbeit? Wie sieht das aus?
  • Wie teilt und bewahrt ihr etwa im Beamtenrat relevante Dokumente?
  • Wie bindet ihr ältere und kranke Brüder ein?
  • Habt ihr noch eine Bibliothek und wie behaltet ihr den Überblick?
  • Wie ist euer Logenarchiv organisiert und wie bewahrt ihr die Geschichte eurer Loge?
  • Wie bindet ihr die Schwestern in das Logenleben ein?
  • Wie gestaltet ihr die Gästearbeit oder überhaupt die Öffentlichkeitsarbeit? Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?
  • Wie sucht ihr Anschluss an die lokale Gesellschaft und Öffentlichkeit?
  • Welche Musik spielt ihr im Tempel?
  • Habt ihr Lesezirkel oder Arbeitsgemeinschaften?
  • Sind Handys während Logenveranstaltungen (keine Tempelarbeiten) bei euch geduldet?
  • Welche Logentraditionen schätzt ihr bei euch, und warum?
  • Welche Projekte habt ihr zusammen mit Brüdern außerhalb der Loge durchgeführt?

Diese Fragen sind scheinbar banal. Doch das Gegenteil ist der Fall. Im Austausch über sie können wir gemeinsam viel über die Vielgestaltigkeit freimaurerischer Arbeit lernen und das Logenleben wie auch das eigene freimaurerische Erleben bereichern.

Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 6-2020 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.